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Eine Region der Gegensätze: Im Languedoc-Roussillon trifft südfranzösisches Savoir-vivre auf katalanische Leidenschaft – ein Glücksfall für Geniesser, denn diese Mischung ergibt eine aufregende Küche und Weine von unübertroffener Intensität.
Südfrankreich! Ein Wort mit einem magischen Klang – nicht wenige denken dabei an die leuchtenden Lavendelfelder der Provence und die Magie der Côte d’Azur. Doch da ist noch viel mehr: Jenseits der Camargue beginnt ein «anderer» Süden, der sich von Montpellier bis hinüber nach Perpignan erstreckt, wo nur noch die majestätische Bergkette der Pyrenäen zwischen Frankreich und Spanien steht. Languedoc-Roussillon nannte man dieses Gebiet bis 2015, ehe der französische Staat in einem seiner berüchtigten bürokratischen Akte beschloss, daraus die Grossregion «Occitanie» zu machen. Dabei ist die ursprüngliche Bezeichnung viel genauer, denn sie kennzeichnet auch gut die Gegensätze, welche diesem Landstrich innewohnen:
Das Languedoc ist okzitanisch, das Roussillon katalanisch; idyllische, von grünen Hügeln und dem Buschwerk der Garrigue geprägte Landstriche auf der einen, die wuchtig-karge Schönheit der Pyrenäen auf der anderen Seite. Neben der herausragenden Küche, in welcher viele spanische Einflüsse zu spüren sind, bietet die Region ein unvergleichliches Weinanbaugebiet, das sich wie ein Rebenmeer von Nîmes bis an die Grenze von Spanien erstreckt: Kommen Sie also mit auf unsere Weinreise.
Die Festungsstadt Carcassonne
Eine persönliche, daher rein subjektive Auswahl:
1 AUF WEIN- UND- TAPAS-TOUR
Im Languedoc-Roussillon ist die Nähe zu Spanien auch kulinarisch gut spürbar: Daher sollte man sich eine ausgedehnte Tour durch die Tapas- und Weinbars (etwa in Perpignan) nicht entgehen lassen.
2 AUF DEN SPUREN DER KATHARER
Die Landschaft des «Pays Cathare» ist gesäumt von spektakulären Burgruinen, darunter Peyrepertuse und Quéribus. Unverzichtbares Highlight bleibt die Festungsstadt Carcassonne.
3 DIE FRISCHESTEN AUSTERN ÜBERHAUPT
Für frische Austern muss man nicht zwingend in die Bretagne reisen: Am Étang de Thau oder bei den Salzgärten von Gruissan kann man die Delikatesse gleich beim Produzenten geniessen.
Ruine von Quéribus
Ohne Auto geht es hier fast nicht, besonders, wenn man das Hinterland erkunden möchte, wo der ÖV kaum vorhanden ist. Ab Bern ist man in gut 6 Stunden in Montpellier, ab da sind es gut 2 Stunden bis Perpignan.
In Perpignan ist das perfekt zentral gelegene «Hotel de la Loge» (www.hoteldelaloge.com) eine hervorragende Wahl; in Carcassonne empfiehlt sich das «Good Knight Hotel» (www.hotelgoodknight.com). Wer in Sète eine aussergewöhnliche Residenz sucht, bucht ein Apartement bei «The Marcel» (www.the-marcel.fr/suites-artistes).
Teile dieser Reise wurden unterstützt durch Mövenpick Wein.
Das «Castillet», das ehemalige Stadttor, ist ein Wahrzeichen von Perpignan.
Das Roussillon mit seiner Hauptstadt Perpignan zeichnet sich aus durch schroffe Schönheit, katalanisches Temperament, eine vielfältige Küche sowie Weine von enormer Wucht und Power.
Das Paradies hat viele Gesichter. Auch das einer kargen, fast menschenleeren Weite, in der die Sonne erbarmungslos brennt, heisse Winde das Land peitschen und die gespenstischen Silhouetten der Katharer-Burgruinen Quéribus und Peyrepertuse in den Himmel ragen. Wir sind in Maury, inmitten eines felsigen Tals im Schatten der Pyrenäen, gerade wegen seiner unwirtlichen Bedingungen ein Paradies für den Weinbau, perfekt für dunkle, hochintensiv fruchtige Weine. Das stach auch Dave Phinney, Star-Winzer aus dem Napa Valley, ins Auge, als er bei einem Besuch die steilen Berge, die schroffen Schieferböden und die uralten Reben sah: Warum also nicht die kraftvolle Würze von Südfrankreich mit dem muskulösen Napa-Stil kombinieren? Bereits im Jahr darauf legte Phinney den Grundstein für das Weingut «Department 66» (als Anspielung auf die Verwaltungsnummer des Département Pyrénées-Orientales).
Wir treffen Richard Case, der als verantwortlicher Winemaker auf D66 das Sagen hat. «Die Bedingungen hier sind wirklich aussergewöhnlich», so Case, «die Reben müssen dem felsigen Untergrund mühsam jeden einzelnen Wassertropfen abtrotzen.» Aber anders könnte man die einzigartige Stilistik der D66-Weine kaum erzielen. Und die ist ausnahmslos auf Power ausgelegt: Selbst der Rosé «Fragile» ist eine Ansage; voller Körper, enorm viel Frucht und Fülle, aber dennoch mit der nötigen Frische – definitiv kein Apérowein, sondern ein vollwertiger Essensbegleiter. Auch der «Others» (Grenache plus etwas Syrah und Carignan) ist eine Wuchtbrumme, aber mit verführerischem Charme – schwarze, vollreife Beeren, dunkle Schokolade, Kaffee, Vanille, Holz, aber gerade genug Säure, damit das Ganze nicht ins Marmeladige kippt. Noch einen drauf setzt der «Falling Blue», der Vorzeigewein des Guts: Hier dominiert die Wucht des Grenache spürbar mit noch mehr Schmelz und einem lange nachhallenden Finale.
Wesentlich «französischer», aber deswegen keineswegs weniger kraftvoll sind die Weine der ebenfalls in Maury ansässigen «Domaine Thunevin-Calvet», die aus der Kooperation von Jean-Roger Calvet, einem der besten Winzer des Roussillon, und der Bordeaux-Legende Jean-Luc Thunevin hervorging. Am Beispiel des von Mourvèdre dominierten «L’Amourette» sieht man gut, wie die für Maury typische Intensität auf pfeffrige Würze trifft. Oder beim «Les Dentelles» (Grenache, Syrah, Carignan), einerseits mit markanter Frucht, andererseits mit Finesse und einer schönen Säure.
Das Roussillon ist eine Gegend der Kontraste: Über vier Jahrhunderte lang gehörte es zu Spanien, bevor es 1659 an Frankreich überging. Die Ortsschilder sind hier zweisprachig, französisch und katalanisch, und jeder Zweite spricht im Alltag Katalanisch statt Französisch. Besonders gut ist dies in Perpignan zu spüren. Kein Wunder, denn die südlichste Grossstadt Frankreichs liegt nur 30 Kilometer von der spanischen Grenze entfernt. 320 Sonnenstunden im Jahr, von Palmen gesäumte Alleen und eine fast mit Händen greifbare Lebenslust versprühen einen ganz eigenen Esprit. Und wenn irgendwann die Sonne sinkt und das Castillet, das ehemalige Haupttor, in der nächtlichen Beleuchtung fast rötlich zu glühen scheint, treibt es die Menschen hinaus ins Gewirr und Gedränge der engen Gassen. Jetzt zieht man durch die Bars, die Kneipen, geht auf Tapas-Tour, etwa bei «Chez Henri» auf ein paar Gambas vom Grill, frittierte Tintenfische, «Patatas bravas» oder grillierte Chorizos. Wesentlich moderner und betont französischer sind die Tapas ein paar Meter weiter bei «Babines», wo es zu Wermut und Naturweinen erstaunlich komplexe Teller wie gegrillte Spargeln mit Muscheln, Parmesancrumble, Bärlauch-Pistou und Forellenkaviar gibt. Und mit dem «Le Divil» ist Perpignan mit einem der besten «Restaurants à viande» von ganz Frankreich gesegnet.
Doraden-Carpaccio und Spargeln im «Babines».
Das Weingut Thunevin-Calvet in Maury.
Gleich beim Eintreten wandert der Blick über die prächtig ausgestattete Bar, gleitet zur riesigen russgeschwärzten Grillstelle, in der ein Berg aus Holzkohle glüht – und bleibt unweigerlich hängen am gläsernen Fleisch-Reifeschrank. Was soll es sein? Das Faux-Filet vom Holstein? Oder lieber vom Ferrandaise-Rind aus der Auvergne? Oder doch lieber dieses 80 Tage gereifte Aberdeen-Angus-Côte-de-Boeuf? Na, alle drei natürlich! Im «Divil» ist es nämlich möglich, von jedem Stück eine kleine Probiertranche zu ordern. Fehlt nur noch ein schönes Glas Rotwein… Vielleicht etwas Wuchtiges aus Maury?
Raues Terroir: D66-Winemaker Richard Case inmitten seiner Reben.
DEPARTMENT 66
Napa Valley trifft auf Südfrankreich. Achtung: Zurzeit nicht für Besucher zugänglich.
www.department66.com
L`AUBERGE DU VIGNERON
Grossartiger Landgasthof im Gebiet der Katharerburgen. www.auberge-vigneron.com BABINES Moderne, kreative Tapas, Wermut und Naturwein.
www.restaurant-babines.com
DOMAINE THUNEVIN-CALVET
Ein Vorzeigeweingut im Roussillon.
www.thunevin-calvet.fr
CHEZ HENRI
Enorm beliebte Tapas-Bar.
www.facebook.com/chezhenriperpignan
LE DIVIL
Das Paradies für Karnivoren.
www.restaurant-le-divil-66.com
Zwischen Gruissan, dem Massif de la Clape und Sète findet man nicht nur exzellenten Fisch und Meeresfrüchte, sondern auch herausragende Weine.
Begrenzt von Narbonne und dem Mittelmeer liegt die kleine Weinregion La Clape: Fast 3000 Stunden pro Jahr brennt die Sonne, dreizehn verschiedene Winde wehen hier, trocknen die Trauben an den Reben aus und belüften sie – es ist ein raues Klima, das jedoch hervorragende Weine ermöglicht. In unmittelbarer Nachbarschaft zum La Clape-Gebirge, dem größten Naturschutzgebiet des Midi, liegt das Château de la Négly, seit 1992 durch die Familie Paux-Rosset geführt. Ein salziger Wind liegt in der Luft und tatsächlich könnte man meinen, dass manch eine Parzelle direkt im Meer zu liegen scheint. «Diese Nähe hat in der Tat einen grossen Einfluss auf unsere Weine», erklärt Mathieu, der uns über das Gut führt, «denn das sorgt für eine ausgesprochen mineralische, schon fast jodige Frische.» Das kommt exemplarisch beim Weisswein «La Brise Marine» (Roussanne, Bourboulenc, Clairette) zum Ausdruck. Auch die Rotweine von la Négly sind sehr komplex und dicht, lassen sich aber angenehm trinken; angefangen beim «La Côte» (Carignan, Syrah, Grenache, Mourvèdre), mit üppiger, fast verschwenderischer Frucht, über «Les Grès», der zu la Négly gehörenden Domaine de Boède (schwarzbeerig opulent mit weichen Tanninen) bis hin zum Flaggschiff «L`Ancely», einem reinsortigen Mourvèdre.
Blick vom «Château de la Négly»: Die Reben scheinen fast bis ins Meer zu reichen.
Nicht weit entfernt liegt das pittoreske Hafenstädtchen Gruissan, dessen Gebäude sich kreisrund um die Burgruine des Tour Barberousse winden und das von oben so aussieht, als hätte man es einfach in die Lagune gepflanzt. Kulinarisch interessant sind hier die ausgedehnten Salzgärten «Salin de l'Île Saint-Martin», wo man sich in der riesigen Boutique mit bestem Fleur de Sel – pur oder in allen möglichen Geschmacksrichtungen – feinem und grobem Meersalz sowie einer grossen Auswahl an regionalen Delikatessen eindecken kann. Ein grosses Plus: Gleich daneben liegt eine Austernzucht mit dazugehörendem Restaurant, wo man in den Genuss der frischesten Austern und Meeresfrüchte überhaupt kommt.
Doch die eigentliche Austernhochburg des Languedoc-Roussillon liegt am «Étang de Thau», der flächengrössten und tiefsten Lagune der Region, ein echtes Binnenmeer, das lediglich durch eine schmale Sandbank vom Mittelmeer getrennt ist. Auf über 300 ha Fläche werden hier Muscheln, vor allem Austern gezüchtet, die dank eines optimalen Salz-Süsswasser-Gemischs bestens gedeihen. Der kleine Ort Bouzigues gilt als Hauptumschlagsplatz für die Delikatesse – kein Wunder also, dass sich hier eine Austernkneipe an die nächste reiht. Eine gute Adresse ist «Chez la Tchèpe», wo man drinnen an der Vitrine bestellt, was einem gerade zusagt.
Gruissan: Frische Meeresfrüchte inmitten der Salzgärten.
Sète gilt als das «Venedig des Languedoc».
Zwischen dem Étang de Thau und dem Mittelmeer liegt die Hafenstadt Sète, das «Venedig des Languedoc», mit seinen malerischen Kanälen, unzähligen Brücken, leuchtend bunten Hausfassaden und katalanischen Barken, aber auch mit der rauen Atmosphäre eines Fischereihafens. Neben den vielen guten, aber eher rustikalen Lokalen am Hauptkanal gilt das «The Marcel» seit über 30 Jahren als Leuchtturm der hiesigen Restaurantszene, mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet und seit 2018 unter der Leitung von Chefkoch Denis Martin. «The Marcel» steht für eine kreative, aber authentische Mittelmeerküche, in der die typischen Produkte der Region um Sète zur Geltung kommen. Zum Beispiel Austern mit Artischocken oder confierter Blauflossenthunfisch aus dem Mittelmeer, nach Vitello-Tonnato-Art mit Kapern, eingelegten roten Zwiebeln und geräuchertem Schinken.
Thunfisch auf Vitello-Tonnato-Art im «The Marcel».
CHÂTEAU LA NÉGLY
Von Robert Parker als eines der besten Weingüter der Region geadelt.
www.lanegly.com
SALIN DE L'ÎLE SAINT-MARTIN
Salzgarten mit grosser Boutique und tollem Seafood-Restaurant.
www.lesalindegruissan.fr
CHEZ LA TCHÈPE
Frische Bouzigues-Austern direkt vom Produzenten.
www.chezlatchepe.fr
THE MARCEL
Kreative Mittelmeerküche mit regionalen Produkten.
https://the-marcel.fr
Moderne Tapas im «Pica-Pica»
Ghislain und Delphine D`Aboville inmitten ihres Weinbergs.
Zwischen Béziers und Pézenas
Wer durch das Hérault reist, merkt es bald: Hier zieht die Küstenregion die meiste Aufmerksamkeit auf sich – sei es durch die aufstrebende Metropole Montpellier, das malerische Sète oder die berühmt-berüchtigte Beton-Bettenburg «La Grade-Motte». Doch es lohnt sich wirklich, auch das Hinterland zu erkunden, denn es warten jede Menge Trouvaillen. Etwa das charmante Städtchen Béziers mit seiner alten Steinbrücke und der prächtigen Kathedrale St-Nazaire. Auch kulinarisch lohnt sich ein Stopp: Im «Pica-Pica» kocht Spitzengastronom Fabien Lefebvre nach einem tollen Konzept: moderne Tapas und Mini-Gerichte, alles zum Teilen, serviert in einer lockeren Atmosphäre. Von klassischen «Croquetas de Jamon» über Oktopus mit Kartoffeln und Paprika, bis hin zu frischer Sardelle mit Fenchel und Mandarine.
Ein paar Kilometer weiter wartet Pézenas mit einem gewaltigen architektonischen Reichtum, den die Stadt ihrer Blütezeit im 16. Jahrhundert verdankt, als sie als eine Art Hauptstadt des Languedoc galt. Ein Bummel durch die Gassen dieses Labyrinths aus prachtvollen Barockbauten sollte man sich daher nicht entgehen lassen. Nur ein paar Minuten ausserhalb von Pézenas wandelt sich das Bild: Ein Meer aus Reben erstreckt sich über sanfte Hügel. Hier an den Hängen eines erloschenen Vulkans haben sich Ghislain und Delphine D`Aboville 2008 den Traum eines eigenen Weinguts erfüllt. Auf der «Domaine Allegria» (was auf Okzitanisch so viel wie «Freude» bedeutet) lebt das Ehepaar mit seinen fünf Kindern und drei Hunden und bewirtschaftet ein für das Languedoc einzigartiges Terroir: Terrassen aus Kies, Basaltschotter und Mergelkalkstein folgen im Abstand von wenigen Metern aufeinander. Angebaut werden mehrheitlich Syrah, aber auch Mourvèdre, Carignan, und Grenache. Auf dem Bio-Weingut verzichtet man möglichst auf zu viel Chemie: «Im Winter grasen die Schafe in den Reben und unsere Kinder dürfen während der Weinlese bedenkenlos von den Trauben naschen», so Ghislain. Auf der Domaine setzt man auf eine sanfte Vinifizierung, um die natürliche Frucht der Trauben zu bewahren und Frische und Eleganz zu erhalten. Die meisten Weine werden überhaupt nicht geschwefelt. Vorzeige-Cuvée der D`Abovilles ist die kraftvoll-fruchtige «La Belle Histoire», nur in aussergewöhnlichen Jahren aus den Trauben der besten Syrah-Parzelle gekeltert. Nicht weniger Spass macht der «Montagne de Feu» (Syrah, Grenache, Mourvèdre); und als Geheimtipp der «L'Aventure c'est l'Aventure», ein fulminanter reinsortiger Grenache, den es nur direkt bei Ghislain und Delphine zu kaufen gibt – ein guter Grund, einmal auf Allegria vorbeizuschauen.
Trouvaillen im Hinterland
PICA-PICA
Moderne Tapas und Mini-Gerichte; perfekt zum Teilen.
www.pica-pica.fr
DOMAINE ALLEGRIA
Sympathisches Bio-Weingut im Hinterland von Pézenas.
www.tribuallegria.com
Vorzeigeorte wie Carcassonne und Lagrasse sind nicht nur wunderschön anzuschauen, sondern haben auch kulinarisch einiges zu bieten.
Angeblich soll Walt Disney vom Anblick der «Cité de Carcassonne» derart beeindruckt gewesen sein, dass ihm die Stadt als Vorbild für die zahlreichen Märchenschlösser in seinen Zeichentrickfilmen diente. Und tatsächlich gehört die grösste Festungsstadt Europas mit ihrer drei Kilometer langen Wehrmauer und den 52 Türmen nicht ohne Grund zum Weltkulturerbe der UNESCO. Heute ist Carcassonne eine der meistbesuchten Attraktionen des Landes – weshalb manche Häuserzeile vor Touristenboutiquen geradezu überquillt. In Carcassonne ist ohnehin nicht alles Gold, was glänzt – das gilt auch für das Cassoulet, das wichtigste Gericht der Stadt. Zu finden ist es fast überall, doch wenn ein Restaurant nebenbei auch noch Pizza, Burger und allerlei Frittiertes anbietet, ist Vorsicht geboten, da eher nicht damit zu rechnen ist, dass sich die Küche wirklich die Mühe macht, das typische Tongefäss mit Speck einzufetten, Zwiebeln, Tomaten, Karotten, eingeweichte weisse Bohnen, Kräuter, Knoblauch, Gewürze und jede Menge Fleisch einzuschichten, alles lange köcheln zu lassen und schliesslich zu überbacken. Ein sicherer Wert ist daher das Cassoulet bei «Comte Roger», wo man den deftigen Klassiker mit einem hauseigenen Rotweinessig serviert und ihn so leichter und raffinierter macht.
Wer den Trubel von Carcassone hinter sich lassen möchte, besucht als Kontrastprogramm das beschauliche Lagrasse, eines der schönsten Dörfer von Frankreich: Mit steinerner Bogenbrücke, mittelalterlichen Gässchen und Plätzen, einer platanengesäumten Hauptstrasse und einer ehemaligen Benediktinerabtei bietet es ländliche Beschaulichkeit wie aus dem Bilderbuch. Auch wenn Lagrasse etwas verschlafen wirkt, ist es dennoch gut für Entdeckungen, auch in kulinarischer Hinsicht: So hat hier etwa die Manufaktur von Essig-«Künstler» Cyril Codina ihren Sitz und selbstredend kann man gleich vor Ort Dutzende von Sorten (von Tomate-Rauchpaprika, Bärlauch, Kastanie, Tonkabohne über Kaffee, Nougat bis hin zu Pfeffer und Whisky) verkosten und kaufen. Nur ein paar Meter daneben befindet sich das Verkaufslokal von «Kina Karo», einem Quinquina-Produzenten, der einen wermutähnlichen Aperitif auf Weinbasis mit Gewürzen herstellt.
Die mittelalterliche Festungsstadt Carcassonne.
COMTE ROGER
Eine der besten Adressen für ein authentisches Cassoulet.
www.comteroger.com
CYRIL CODINA
Essigmanufaktur mit teils ausgefallenen Sorten.
www.vinaigrescodina.com
KINA KARO
Echt okzitanischer Bitter-Aperitif auf Weinbasis.
www.kinakaro.fr
NOTIZEN VON UNTERWEGS
Unser Reiseredaktor Nicolas Bollinger interessiert sich stets für die kleinen feinen kulturellen Unterschiede, die einem beim Reisen auffallen.
Die Kunst des Rastens
Vielleicht kennen Sie das: Man ist auf dem Weg in den Süden und irgendwann meldet sich der Hunger. Fast instinktiv steuert manch einer nun eine Raststätte an, damit das «Problem» möglichst schnell behoben ist. Warum eigentlich? Wir waren in genau dieser Situation, als wir gegen Mittag in der Nähe von Valence waren. Und entschieden uns gegen die schnelle Variante – schliesslich hat man da von einem kulinarischen Geheimtipp gehört, ausserdem gilt Valence den Franzosen sowieso als bevorzugter Rastort auf der «Autoroute du Soleil».
Runter von der Autobahn, irgendwann wird aus der Strasse eine steile Zufahrt und daraus eine staubige Piste. Und ehe man sich fragt, ob man nicht doch die Raststätte hätte vorziehen sollen, steht man plötzlich vor diesem aus Natursteinen gemauerten Landgasthof, ein Idyll sondergleichen, das sich in einen Moment des glücklichen Überraschtseins steigert, als man beim Eintreten in einer gewaltigen offenen Küche mit offenem Holzfeuer steht und prächtige Stücke von Rind und Schwein verlockend an Haken über der Glut brutzeln; spätestens jetzt ist klar – hier sind wir richtig! Die «Auberge de Crussol» ist ein «Table de Pays», wie man ihn nur noch selten findet, ein Ort, wo man sich Zeit nimmt, um gut zu essen; wo bodenständig, hausgemacht und mit lokalen Zutaten gekocht wird. Und das alles nur zehn Minuten von der Autobahn weg. Aber Zeit spielt da schon längst keine Rolle mehr…
Ein Schnappschuss
Fantastischer Anblick in der «Auberge du Crussol».