Und selbst wenn er den Kelch nicht bis zum Rand füllt, kommt da auch rein mengenmässig allerhand zusammen: Schätzungen haben ergeben, dass allein in Italien rund eine halbe Million Liter pro Jahr in der Kirche für die Messe verwendet werden. Was der Sakristan sonst noch so verbraucht, entzieht sich natürlich dieser Schätzung.
Wir bleiben beim eigentlichen Mess- oder Altarwein. Das Kirchenrecht der katholischen Kirche schreibt vor: «Der Wein muss naturrein und aus Weintrauben gewonnen und darf nicht verdorben sein.» Wein aus anderen Früchten als aus Weintrauben ist also nicht erlaubt. Johannisbeerwein oder Dattelwein gehen darum nicht. Die Missionare auf allen Kontinenten dieser Erde hatten also ein Problem: ohne Reben keine Messen. Die Kirchen und Klöster wurden damit immer auch Botschafter des Weins, und viele der heute berühmtesten Weinberge gehen auf die Arbeit von Mönchen und auf deren Besitz zurück.
Der Wein muss ferner naturrein sein, jegliche Art von Zusatzoder Fremdstoffen ist also nicht erlaubt. Dazu zählt zum Beispiel auch das Aufzuckern des Mosts. Was allerdings erlaubt ist, ist das Beimischen von aus Trauben gewonnenem Alkohol. Portwein und Sherry gehen also und sind in südlichen Ländern auch beliebt, angeblich weil diese Weine besser haltbar sind.
Bei uns in der Schweiz sind die Bischöfe zuständig für die Zulassung eines Weins als Messwein. Sie holen bei den Produzenten eine schriftliche Erklärung ein, als Bestätigung dafür, dass die Vorschriften eingehalten werden. In Ausnahmefällen kann auch reiner Traubenmost verwendet werden, vor allem dann, wenn der Priester ein gesundheitliches Problem mit dem Alkohol hat. Der Traubensaft darf aber nicht sterilisiert sein, man muss ihn also einfrieren.
Bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts wurde meist Rotwein verwendet, heute sind Rot- und Weisswein erlaubt, aber in der Realität hat sich der Weisswein durchgesetzt. Seine Flecken seien nämlich in der Wäsche viel harmloser, meinen die vereinigten Haushälterinnen der Pfarrer, und man hat auf sie gehört.
Beat Koelliker: Darf ich dir ausnahmsweise zuerst einmal selbst eine Frage stellen? In welchem Land denkst du, wird pro Kopf am meisten Wein getrunken?
Annemarie Wildeisen: Keine Ahnung, aber ich denke es ist eines der grossen klassischen Weinländer, Frankreich oder Italien.
Weit daneben! Frankreich liegt auf Platz 5 und Italien sogar erst auf Platz 10 der Rangliste, übrigens direkt hinter der Schweiz, die es auf Platz 9 schafft. Ganz vorne liefern sich zwei Kleinstaaten ein Kopf-an-Kopf-Rennen: Dabei schlägt überraschenderweise Andorra mit 56,9 Litern pro Kopf und Jahr den Vatikan mit 56,2 Litern allerdings nur knapp. Hinter diesem Spitzenduo folgt abgeschlagen auf dem dritten Platz Kroatien mit «nur» 46,9 Litern. Der Messwein schlägt also auch mengenmässig durchaus zu Buche.
Das mögen wir den Geistlichen ja auch herzlich gönnen. Aber mich beschäftigt noch eine andere Frage: Du sprichst in deinem Beitrag immer nur vom Pfarrer, aber da gibt es ja auch noch die Frau Pfarrerin.
Genau, was ich da geschrieben habe, betrifft eigentlich nur die katholische Kirche. Für diese gelten besonders strenge Regeln, weil ihrer Meinung nach in der Messe der Wein real in das Blut von Jesus verwandelt wird. Diesem hohen Anspruch muss natürlich bei der Auswahl des Weins Rechnung getragen werden. Deshalb sind in der katholischen Kirche die Vorschriften auch recht streng. Die gesetzlichen Anforderungen an einen Qualitätswein erfüllen sie aber bei uns in der Regel.
Und die Protestanten?
Die sehen alles etwas lockerer. Denn ihrer Ansicht nach findet im Gottesdienst ja nicht eine reale Wandlung statt. Brot und Wein symbolisieren «nur» den Leib und das Blut von Jesus. In aller Regel wird bei ihnen das Abendmahl nur an besonderen Festtagen, dann aber in beiden Gestalten, Brot und Wein, gereicht. Wichtig sind dabei nicht bestimmte Abläufe oder Riten. Wichtig ist, dass im Abendmahl eine Gemeinschaft erlebt wird. Daher kann – und das scheint meistens der Fall zu sein – auch einfach Traubensaft verwendet werden. Damit sind auch Menschen, die keinen Alkohol trinken wollen oder dürfen, nicht vom Abendmahl ausgeschlossen.