Die Szenerie ist gänzlich unspektakulär: Ein Gemüsefeld reiht sich an das andere, hier die Autobahn, dort ein Netz von Feldwegen. Die Parzelle mit Blick auf den Mont Vully ist unscheinbar und gibt ihr Geheimnis nicht ohne Weiteres preis. Markus Fuchs, Gemüsebauer aus Gempenach, nahe Murten, stapft einige Meter vorwärts und hebt das weisse Vlies an, das die rechteckige Ebene bedeckt. «In vier Wochen können wir ernten», sagt Fuchs. Was da geerntet wird, ist jetzt noch unter grünen Blättern und Erdreich verborgen, bietet dann aber einen Anblick, der nicht nur Vegetarier in seinen Bann zieht. Romanesco – dieses futuristisch aussehende, unendlich komplex strukturierte Gemüse, das grossartig schmeckt, aber fast noch grossartiger zu betrachten ist.
Hartnäckig hält sich das Gerücht, er sei bloss eine neumodische Kreuzung aus Blumenkohl und Broccoli. Und auch wenn der Romanesco hierzulande erst seit etwa 25 Jahren angebaut wird, gibt es ihn doch bereits seit über 400 Jahren, wo er – wie der Name schon sagt – in der Nähe von Rom seinen Siegeszug antrat. Obwohl: So richtig hat er den Sprung aus der Nische doch noch nicht geschafft. Vom mit ihm verwandten Blumenkohl wird sicher zwanzigmal so viel angebaut. Als Markus Fuchs’ Vater vor 25 Jahren einem Gemüsehändler die ersten Romanescoköpfe anbot, habe dieser geantwortet: «Die kannst du gleich kompostieren.» Einige Wochen später habe er fünf Paletten voll bestellt.
Heute gehört Markus Fuchs’ Betrieb zu den eher kleineren; mit 20 Hektaren Ackerfläche, wovon fünf auf den Romanesco entfallen. Dieser erweist sich im Anbau als recht heikel: Von der Pflanzung bis zur Ernte benötigt er 80 bis 100 Tage in mittelschwerem Boden; bei unzureichender Bewässerung kann er sich infolge einer Stressreaktion sehr schnell violett verfärben. Wie alle Kohlsorten ist er zudem sehr anfällig auf Kohlhernie, eine Wurzelkrankheit, bei der die Wasseraufnahme der Pflanze blockiert wird. Eine befallene Parzelle benötigt bis zu zehn Jahre, um sich davon zu erholen. Um das zu vermeiden, wird Romanesco nur alle vier Jahre in demselben Boden angebaut.
Geerntet wird von Ende Mai bis Ende November. Bei der Romanesco- Ernte vertraut Fuchs nur auf erfahrene langjährige Mitarbeiter: Etwas zu viel Druck und die filigranen Türmchen brechen ab. «Diese Ware könnte ich dann kaum mehr verkaufen», sagt er. Für ihn ist klar: «Romanesco ist das schönste Gemüse überhaupt.» Das liegt am einzigartigen Aufbau des Kohls, der nicht nur Ästheten, sondern gleichsam auch Mathematiker in Verzückung bringt. Jeder Kopf besteht aus 13 Spiralen im Uhrzeigersinn und 21 Spiralen entgegen dem Uhrzeigersinn; das entspricht zwei aufeinanderfolgenden Zahlen der sogenannten Fibonacci- Folge: Bei dieser Sequenz ergibt immer die Summe von zwei Zahlen die folgende Zahl. Also: 0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21 ... Darüber hinaus hat Romanesco eine fraktale, das heisst selbstähnliche Struktur: Die einzelnen Türmchen stellen jeweils eine exakte Kopie des ganzen Kohlkopfes dar.
Ja, und essen kann man ihn auch.
Romanesco ist eine Weiterzüchtung des Blumenkohls und gehört wie dieser zum Blütengemüse und der Familie der Kreuzblütler. Ein Hauptunterschied beim Anbau: Bei weissem Blumenkohl verhüllen die Gemüsebauern die Köpfe mit deren eigenen Blättern, damit er ohne Flecken bleibt. Romanesco hingegen darf sich teilweise entblättern, denn dadurch bildet sich bei Sonneneinstrahlung das in diesem Fall erwünschte farbgebende Chlorophyll. Den Kohlkopf sollte man vor der Verarbeitung kurz in kaltes Salzwasser einlegen, damit Ungeziefer herausgeschwemmt wird. Er wird vorwiegend gekocht gegessen, nur wenn er sehr jung ist, kann man ihn auch als Rohkost verarbeiten. Der Vitamin-C- und- Beta-Carotingehalt ist deutlich grösser als beim Blumenkohl.