Es tönt wie eine Geschichte aus einer anderen Zeit: Als ich das erste Mal durch das Weinbaugebiet Saale-Unstrut reiste, war das noch tiefe DDR. Alles war staatlich geregelt, für die Winzer mit Ehrgeiz und Qualitätsbewusstsein gab es kaum Spielraum und so schmeckten auch die Weine: Ohne Schliff und Glanz kümmerten sie vor sich hin, während die Weine aus den Bruderländern wie Bulgarien und Rumänien den Markt beherrschten. Gleichzeitig fiel natürlich der blühende Markt im Westen ganz weg. Man produzierte für sich, zum Eigengebrauch und sass als Winzer gewissermassen auf dem Trockenen.
Dabei konnte das Gebiet auf eine lange und farbige Geschichte zurückblicken. Seit über tausend Jahren wird hier Weinbau getrieben, im 16. Jahrhundert soll der Weinbau in Thüringen sogar über zehn Tausend Hektaren bedeckt haben. Heute sind davon kaum mehr fünfzig übriggeblieben und knapp siebenhundert im benachbarten Bundesland Sachsen-Anhalt.
Aber seit der Wende 1989 blüht der Weinbau in den beiden Flusstälern von Saale und Unstrut wieder auf. Es sind vor allem einige unverdrossene Privatwinzer, die auch während der DDRZeit durchgehalten haben und sich jetzt wieder entfalten können. Und da die Weine kaum unter Absatzproblemen leiden, können sich diese Winzer auch flächenmässig ausdehnen. Der Weinbau hat sich, wie der berühmte Graf Münchhausen, selbst an den Haaren aus dem Sumpf gezogen und so vor dem Untergang gerettet.
Dabei kommt dem Gebiet natürlich zupass, was dem mündigen Bürger Sorgenfalten auf die Stirne treibt und die noch «unmündigen» Schulkinder am Freitag auf die Strasse: der Klimawandel. Saale-Unstrut ist das nördlichste Weinbaugebiet Deutschlands und konnte sich da oben nur entfalten, weil es in den Flusstälern Wärmeinseln gab und gibt, die es der Rebe erlauben, in den bisweilen harten Frostwintern zu überleben. Die globale Erwärmung hat dieses Problem etwas entschärft.
Heute wachsen in dem Gebiet hauptsächlich Weissweine, die mit ihrer erfrischenden Säure und viel duftiger Frucht überzeugen. Es sind vor allem die Rebsorten Müller-Thurgau, Weissburgunder, Silvaner und Riesling, die hier angebaut werden. Auf etwa einem Viertel der Rebfläche stehen aber auch rote Reben: Portugieser, Dornfelder und natürlich Spätburgunder.
Annemarie Wildeisen: Du machst mich mit deinem Artikel über die Weine aus dem Anbaugebiet Saale-Unstrut richtig neugierig. Nur, wo kann man diese kaufen und probieren?
Beat Koelliker: Ja, das ist der wunde Punkt. In der Schweiz ist es praktisch unmöglich, sie zu finden. Das ist ein Jammer, denn wir Schweizer haben ein tief sitzendes Vorurteil gegenüber Weinen aus Deutschland. Jetzt hast du in diesem Heft aber einen schönen Beitrag über Thüringen und da durften die Weine der Gegend natürlich nicht fehlen. Vielleicht sagt sich ja der eine oder andere Leser: «Da müssen wir unbedingt mal hin.»
Ich merke, da spricht viel Herzblut aus dir, bei mir rennst du damit, wie du weisst, offene Türen ein. Auch ich schätze die deutschen Weine, vor allem die Weissen, sehr.
Es ist einfach schade, dass wir in der Schweiz nicht von der einmaligen Chance profitieren, Nachbarn eines Landes zu sein, das meiner Meinung nach die besten Weissweine der Welt produziert.
Ich weiss, du denkst an den Riesling.
Ja sicher. Riesling ist ein ganzer Kontinent. Er schmeckt am Rhein ganz anders als an der Mosel und bei jedem Winzer sowieso. Es gibt ihn trocken, lieblich und tief süss. Er kann schlank sein und körperreich. Sogar als Schaumwein kann er sich auf der grossen Bühne behaupten. Aber alle diese wunderbaren Weine, man findet sie bei uns nur mit viel Mühe und Spürsinn.
... oder überhaupt nicht. Ein Beispiel, das mir in eindrücklicher Erinnerung bleiben wird: Du hast im Heft fünf einen fränkischen Silvaner in der klassischen Bocksbeutelflasche als Spargelwein empfohlen, einen Wein, den man in Deutschland überall kaufen kann. Eine Leserin fragte dann in der Redaktion nach, wo man diesen Wein denn in der Schweiz finden könne, sie suche schon länger danach. Wir mussten ihr dann erklären, dass das, wenn überhaupt, nur übers Internet möglich ist.
... und das ist ja nur ein Beispiel, das Gleiche würde dir mit allen anderen deutschen Weinen passieren und nicht nur mit den Weissen. Das sagt nichts gegen unsere Schweizer Weine, die ich ja auch sehr liebe, aber Patriotismus darf nicht mit Scheuklappen verbunden sein. Da haben wir alle noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.