Dieser Reisebericht ist auch als PDF «Milano - Hochburg des guten Geschmacks» und als digitaler Beitrag zum Blättern verfügbar:
Als Mark Twain im Jahr 1867 Milano besuchte, wurde er beim Anblick des Doms regelrecht überwältigt: «Welches Wunder er ist! So grossartig, so ernst, so riesengross! Und noch so fein, so luftig, so anmutig!» Bis heute bleibt die fast ekstatische Verzückung des Schriftstellers nachvollziehbar, denn beim Betreten der Piazza del Duomo, dem unbestreitbaren Zentrum der Stadt, zieht es den Blick des Betrachters unweigerlich zur gotischen Pracht des Doms, der auf einzigartige Weise bombastische Grösse und spielerische Leichtigkeit vereint. Es ist diese Mischung aus Eleganz und Überwältigung, etwa beim an einen Triumphbogen erinnernden Eingangsportal der vor Marmor und Stuck geradezu überquellenden Galleria Vittorio Emanuele II, die Milano völlig zu Recht den Ruf als eine Hochburg von Luxus, Prunk, Reichtum und gutem Geschmack beschert hat. Das vermag nicht weiter zu verwundern, ist die zweitgrösste Stadt Italiens doch der unangefochtene wirtschaftliche Motor des Landes. Das liegt sicherlich an der günstigen geografischen Lage als Bindeglied zwischen Mittelmeerraum und Alpen bzw. allem, was nördlich davon liegt, was den Austausch von Waren und Kultur enorm fördert. Gut die Hälfte der 200 grössten italienischen Unternehmen hat hier ihren Sitz, ein Drittel aller ausländischen Investitionen fliesst direkt in die Stadt, wo nicht nur die Börse, die wichtigen Banken, aber auch Medienhäuser und Verlage sowie einige der bekanntesten Modehäuser der Welt ansässig sind.
Alt ja, aber mit jeder Menge Würde gealtert: Manche Teile der Stadt versprühen einen geradezu melancholischen Charme.
Noch in den 1990er-Jahren hatte Milano den Ruf einer eher tristen Industriemetropole; heute kaum mehr denkbar, denn spektakuläre und teilweise zukunftsweisende Bauprojekte sowie die Weltausstellung Expo 2015 als wichtiger Impulsgeber verliehen nicht wenigen Stadtteilen ein innovatives bis ultramodernes Antlitz. Es ist wohl dieser Mix aus grenzenloser Modernität und altehrwürdiger Pracht, perfekt verfeinert durch eine charmante Patina, die dem Ganzen einen überaus sympathischen melancholischen Touch verpasst. Genauso spannend ist diese Mischung aus kulinarischer Perspektive: Die altehrwürdige Mailänder Küche mit ihren Klassikern Risotto, Ossobucco und Cotoletta exisitiert neben dekadentem Luxus, modernem Fine Dining und den Einflüssen von Einwanderern aus aller Welt – und manchmal vermischt sich alles zugleich. Nicht nur deshalb ist Milano eine der spannendsten Städte, um gut essen zu gehen.
In Milano gibt es viel zu sehen und zu erleben. Für diejenigen, die nur kurz in der Stadt sind, haben wir ein paar Höhepunkte herausgepickt:
1 APERITIVO BEI CAMPARI
Im prachtvollen Ambiente der Galleria Vittorio Emanuele II auf einen Drink bei Camparino, dazu den Dom und die Schönen und Reichen beobachten – ja, dann ist man angekommen in dieser Stadt.
2 SCHLENDERN ENTLANG DER KANÄLE
Ein Spaziergang entlang des alten Kanals Naviglio Grande ist besonders im Herbst und Winter sowohl schön als auch melancholisch.
3 DAS MODERNE MAILAND
Hypermoderne und gleichzeitig zukunftsweisende Architektur, etwa in der Zona di Porta Nova, auch das ist Milano.
Hinkommen
Dank mehrerer Flughäfen könnte man natürlich auch nach Milano fliegen, doch die mit Abstand komfortabelste Verbindung ist immer noch der Zug: Mit dem Eurocity der SBB erreicht man die Stadt ab Bern in etwas mehr als 3 Stunden. Ab Zürich HB in ca. 3,5 Stunden und von Genf / Basel SBB in ca. 4 Stunden.
Übernachten
Für einen Städtetrip ist das Hotel dei Cavalieri (www.hoteldeicavalieri.com) einfach perfekt gelegen: Metro, Bus und Tram halten quasi vor der Haustür, den Bahnhof Milano Centrale erreicht man so in gut 10 Minuten; bis zum Dom sind es lediglich 5 Minuten zu Fuss. Die Zimmer sind modern und stilvoll eingerichtet.
Eine Ikone: «Camparino in Galleria» ist Mailänder Luxus und Eleganz in Reinform.
Die Galleria Vittorio Emanuele II ist der Inbegriff von Mailänder Prunk und Pracht. Nicht nur für Freunde des Luxusshoppings, sondern auch für Gourmets, die hier ein paar herrlich dekadente Stunden geniessen können.
Beim ersten Anblick mag man es kaum für möglich halten. Dieser grenzenlose Exzess an repräsentativer Pracht und dekadentem Luxus, diese überbordende Zurschaustellung von Grossspurigkeit und Grandezza. Die gleich neben dem Dom gelegene «Mutter aller Einkaufspassagen» mit ihrem gewölbten Glasdach, der riesigen transparenten Kuppel, dem marmornen Mosaikfussboden, den kunstvoll verzierten Neorenaissance-Fassaden, ihren Luxusboutiquen, Bars und Restaurants gilt nicht nur als eines der bekanntesten Bauwerke der Stadt, sondern auch als ihr ganzer Stolz, als «Salotto di Milano», das Wohnzimmer Mailands. Ursprünglich nur als wettergeschützter Wandelgang zwischen Dom und Piazza della Scala gedacht, ist die Galeria heute der Inbegriff von Mailänder Eleganz, böse Zungen würden von Dekadenz sprechen. Auch wer sich nicht sonderlich für Gucci, Versace und Co. interessiert, kann hier eine höchst angenehme Zeit verbringen. Vormittags empfiehlt sich ein Besuch bei Marchesi 1824, gleich eine Etage über der Prada-Boutique gelegen: Die Konditorei und ihre süssen Kreationen geniessen einen ausgezeichneten Ruf, warum also nicht eine kurze Wartezeit in Kauf nehmen, um sich einen Fensterplatz zu ergattern und bei «un Cappuccino e un Dolce» dem geschäftigen Treiben in der Galleria unten zuzuschauen? Um die Mittagszeit dann mit einer in jeglicher Hinsicht formvollendeten Mahlzeit zu krönen, führt kein Weg am Ristorante «Cracco» vorbei; nein, nicht das Café im Erdgeschoss, sondern das Restaurant im ersten Stock, wo man nur via Privataufzug hinaufgelangt.
Ein Meisterwerk von Pastete, direkt am Tisch tranchiert: «Il Timbalo» im Ristorante «Cracco».
Kaum öffnen sich die Türen, beginnt eine andere Welt, ein Universum der gepflegten Dekadenz, mit handbemalten Tapeten, Mosaikfliesen und antiken Spiegeln. Im Reich von Carlo Cracco, der bei Alain Ducasse und dem Mailänder Gualtiero Marchesi gelernt hat, gibt es eine Mailänder Küche, die einen einzigartigen Spagat zwischen Tradition und Innovation hinlegt: Eine Küche, die in die Vergangenheit reist, um alte Geschichten und Erzählungen wieder aufleben zu lassen – von den bescheidenen Anfängen der bäuerlichen Küche bis hin zu den üppigen Banketten des Adels. «Wir haben uns eingehend mit uralten Zubereitungsarten und traditionellen Rezepten beschäftigt und dabei unsere eigene kreative Vision eingebracht», erklärt Souschef Luca Sacchi. Wie fabelhaft diese Vermählung von traditioneller Bauernküche und Haute Cuisine funktioniert, zeigt sich etwa an diesem Gericht aus Cannellini-Bohnen, Seeigel und Estragon: Die seidige Zartheit der weissen, vollmundigen Bohnen trifft auf den scharfen, süssen und salzigen Geschmack des Seeigels und verstärkt und ergänzt dessen Aroma, ohne es zu überlagern.
Nirgends ist Milano glamouröser als in der Galleria Vittorio Emanuele II.
Das wirkt einfach und makellos gegen aussen und vermag die Komplexität des Ganzen geschickt zu verschleiern. Oder beim Gang «Mare e Monti», «Meer und Berge», der zwei gegensätzliche Elemente verbindet und nicht mehr loslässt: Fein gehobelter Steinpilz taucht mit seiner Waldaromatik und seinen Umaminoten in die salzige Süsse von perfekt auf den Punkt gegarten, mit Butter beträufelten Flusskrebsen ein, gleichzeitig wuchtig und subtil – fantastisch. Als waschechtes Comfort Food entpuppt sich dann die gratinierte Seezunge mit Schwarzkohl, Kichererbsen und Venusmuscheln: Cavolo nero und Kichererbsen werden in Terrakotta gegart und enthalten mehr und intensivere Aromen, als ihr Aussehen vermuten lässt. Sie dienen als Unterlage für das weisse Fleisch der köstlichen Seezunge, die mutig, aber perfekt abgestimmt mit geräuchertem Paprika und Tabasco gewürzt ist. Die Venusmuscheln erweitern das Ganze um einen Hauch von maritimer Salzigkeit – ein Gang zum Reinlegen! Aber nichts im Vergleich zum gran Finale. Vorhang auf für «Il Timballo», ein Hauptgang wie eine Zeitreise in das 19. Jahrhundert; «Wie verwegen muss man sein, um im Jahr 2022 eine ultraklassische Pastete an den Tisch zu rollen und vor dem Gast zu tranchieren», fragt man sich euphorisch, ehe man dem Gericht hoffnungslos verfallen ist. Und weil das Ganze quasi als essbares Zitat aus Giuseppe Tomasi di Lampedusas «Der Leopard» fungiert, lassen wir den Autor selber zu Wort kommen: «Das gebräunte Gold der Umhüllung, der starke Duft von Zucker und Zimt, der davon ausströmte, waren nichts als das Vorspiel zum Wonnegefühl, das einem im Innern aufstieg, wenn das Messer die Kruste auseinanderriss: Zuerst brach ein mit Wohlgerüchen beladener Dampf daraus hervor, und dann bemerkte man die Hühnerleber, die harten Eier, die Streifen von Schinken, jungem Huhn und Trüffeln in der weichen, heissen Masse der kleinen, kurzen Makkaroni, denen die verdichtete Fleischessenz eine köstliche Gamslederfarbe verlieh.» Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Ausser vielleicht: Viva la Decadenza! Das aber wohl glamouröseste und kultivierteste Mailänder Lokal schlechthin – oder ganz sicher das symbolträchtigste – ist und bleibt «Camparino in Galleria», ein Synonym für Geselligkeit und Savoir-faire, eine perfekte Synthese aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die im heiligen Ritual des Aperitivo zum Ausdruck kommt. Diese Geschichte beginnt vor langer Zeit, als Gaspare Campari vor mehr als einem Jahrhundert beschloss, das berühmte Caffè Campari an der Ecke der Piazza del Duomo zu eröffnen. Er, der Erfinder des gleichnamigen roten Bitters, der in der ganzen Welt als Symbol für Italien gilt und dessen Rezept seit 1860 geheim gehalten wird, mischte und verkaufte die ersten Spirituosen direkt im Caffè. Über diesem ersten Lokal wurde Davide Campari auch als erster Mailänder in der mondänen Galleria geboren. Davide war es schliesslich, der 1915 das Camparino als zweite Campari-Bar eröffnete. Was das Camparino zu einem Symbol für Mailand werden liess, war vor allem sein Wassersystem, das damals ein Novum darstellte: ein System, das einen kontinuierlichen Fluss von gekühltem Selterswasser direkt aus den Kellern sicherstellte, das zum grundlegenden Element für einen seiner ikonischen Cocktails wurde, den Campari Seltz, der auch heute noch ein Synonym für den modernen Aperitivo und sein Ritual für die Stadt Mailand ist. Und auch heute noch zieht einen das Jugendstil-Ambiente sofort in seinen Bann; und wenn der Barmann in seinem tadellos geschniegelten weissen Jackett mit grosser, betont distinguierter Geste das leuchtend rote Elixier wie eine Quelle aufsprudeln lässt, dann ist das ein wahrhaft grandioses Schauspiel – Salute!
Inbegriff von Mailänder Lebensart: Aperitivo im «Camparino».
MARCHESI 1824
Perfekt für einen Kaffee und eine süsse Sünde.
www.pasticceriamarchesi.com
RISTORANTE CRACCO
Eine herrlich dekadente Mischung aus Bauernküche und Haute Cuisine.
www.ristorantecracco.it
CAMPARINO IN GALLERIA
Home of Campari: eine der ikonischsten Bars der Welt.
www.camparino.com
Jenseits seiner grossen, prachtvollen Vergangenheit präsentiert sich Milano als innovativ, international und höchst modern – und das gilt auch für die junge gastronomische Szene der Stadt.
So sehr Milano auch übersät ist mit Zeugnissen einer reichen, von Geschichte, Kunst und Tradition geprägten Vergangenheit, ist es dennoch eine moderne und sich ständig weiterentwickelnde Stadt, die avantgardistische Hauptstadt der Mode und des Designs, aber nicht nur: Man sagt oft, Mailand sei die «europäischste» Stadt Italiens, vor allem wegen der technologischen und architektonischen Innovationen, die hier in den letzten Jahren Gestalt angenommen haben, sowie wegen der äusserst internationalen Atmosphäre. Das sieht man nirgendwo so deutlich wie in den neueren Stadtvierteln wie Citylife oder Porta Nuova, wo die Skyline immer schwindelerregender und ikonischer wird, kurzum, ein Symbol der Mailänder Modernität schlechthin. Zentrum der Zona di Porta Nuova ist die ellipsenförmige Piazza Aulenti, erhöht gebaut und deshalb quasi über den Strassen rundherum schwebend, nur ein paar Meter entfernt vom Parco Biblioteca degli Alberi, der durch sein modernes Landschaftsdesign besticht und einen perfekten Blick auf den futuristischen Torre Unicredit – das höchste Gebäude Italiens – erlaubt, sowie auf den Bosco Verticale, das vielleicht innovativste Hochhaus der Welt: Der «vertikale Wald», entworfen von Stefano Boeri, ist mittlerweile eines der meistfotografierten Bauwerke der Stadt; seine Zwillingstürme bilden mit ihren Balkonen die Basis für 900 Bäume und über 20 000 Pflanzen. Das entspricht einem Wald von 7000 Quadratmetern! Die Pflanzen erzeugen Feuchtigkeit, absorbieren Kohlendioxid sowie Staubpartikel, setzen Sauerstoff frei und bieten Insekten und Vögeln neuen Lebensraum. Damit wird das begrünte Hochhaus zu einem Zukunftsmodell für die Biodiversität im urbanen Umfeld. Nur ein paar Meter weiter befindet sich das «Ratanà», eine – wie könnte es anders sein – moderne Osteria, die kompromisslos nach Slow-Food-Prinzipien arbeitet und einen Teil der Zutaten im eigenen Garten vor der Haustür anbaut. Küchenchef Cesare Battisti serviert zum Auftakt ein Carpaccio aus geräucherten Felchen mit eingelegter Rande und Meerrettich, gefolgt von einem gegrillten Kräuterseitling mit ebenfalls grilliertem und dazu als Püree daherkommenden «Broccolo Fiolaro», ein äusserst rares Wintergemüse, das nur in der Gegend um Vicenza angebaut wird; süsslich, knackig und ausserordentlich würzig im Geschmack. Und dann kommt, wofür nicht wenige eigens ins «Ratanà» pilgern: Risotto alle Milanese, strahlendes Goldgelb, besprenkelt mit Gremolata und Rinderjus, gekrönt von einem Stück grillierten Markknochen. Cremig, üppig, intensiv, auf den Punkt al dente, jeder Bissen wie eine wärmend-wohlige Umarmung, ein aufwühlendes Gericht, das einfach nur glücklich macht. Wesentlich waghalsiger wirkt hingegen die Risotto-Interpretation im «Mater Bistrot», wo Alex Leone in seinen Worten «schrille, respektlose und kontrastreiche» Gerichte serviert. Sein Risotto mit Gorgonzola, fermentiertem Randensaft, Wasabi und Zimtblüte erweist sich als gustatorisches Feuerwerk, das wie wild zwischen cremig, floral, würzig, scharf, erdig und süsslich hin und her pendelt. Wer Glück hat, erwischt im «Mater Bistrot» einen Platz am Tresen und kann direkt in die offene Küche blicken; am besten entscheidet man sich dann für die Option «Lasciatevi guidare dallo chef!» – und lässt Alex einfach machen: Neben besagtem Risotto gibt es zum Auftakt eine Auster mit grünem Chili, Frühlingszwiebel und ausgelassenem Guanciale-Speck, ein schöner Knaller zu Beginn, der dennoch mit einer wunderbaren Balance von Süsse, Schärfe und Säure punktet.
Torre Unicredit (links) und Bosco Verticale (rechts) gelten als die berühmtesten Hochhäuser der Stadt.
Weiter geht es mit einem kompromisslosen Umami-Gericht: Eine einzelne, perfekt gereifte Tomate aus Apulien, blanchiert, gehäutet und kurz gegrillt, serviert in Pilz-Dashi. Fleischig, aber ohne Fleisch, tiefgründig wie ein Ragù, aber mit einer geradezu japanischen Eleganz. Japanische bzw. asiatische Einflüsse sind in der modernen Mailänder Gastronomie überaus häufig zu finden, was wohl daran liegt, dass Milano keine Auswandererstadt ist, sondern ein kosmopolitischer Schmelztiegel, der eine Vielzahl fremder, insbesondere fernöstlicher Einflüsse in sich vereint. Ein perfektes Beispiel dafür ist das Restaurant «Bites», ein winziges, in einer ehemaligen Sushibar untergebrachtes Lokal mit lediglich 12 Plätzen. Die Köche Andrea Baita und Pietro Zamuner setzten diesen Minimalismus in der Karte fort, zur Auswahl stehen 12 kleine Gerichte, Bissen, «Bites» eben, sodass man soviel bestellen und probieren kann, wie man gerade möchte. Der japanische Ansatz bleibt dabei unverkennbar, es wird viel mariniert, fermentiert und grilliert. Die Ouvertüre, eine Auster mit Seetang-Salsa-verde, schmeckt wunderbar frisch und anmutig; ganz im Gegensatz zur marinierten Jakobsmuschel, die von den mit Chili und Knoblauch gewürzten Gurken und Kürbis eine ordentliche Dosis Schärfe abkriegt. Es wird besser mit jedem Bissen. Die «Nudeln» aus rohem Tintenfisch haben einen herrlichen Biss und erhalten durch schwarzen Sesam und geräucherten Kaviar eine wuchtig-nussige Rauchnote. Das Highlight des Abends ist jedoch der «French Toast» ein knusprig gebackenes, vor brauner Butter nur so strotzendes Stück Brioche, bestrichen mit getrüffelter Pilzcreme, confierten Frühlingszwiebeln und hauchdünn gehobelten Champignons. Die Kombination von knusprigem warmem Brot, süsslich-milden Zwiebeln, üppiger Creme und dem erdigen Biss der Pilze katapultiert einen ohne Umwege in einen Zustand höchster Verzückung – purer Wohlgeschmack, so umwerfend und zum Hyperventilieren, dass man schier um Fassung ringt! Allein dieser Bissen rechtfertigt die Reise nach Milano. Aber Beeilung, die Karte im «Bites» wechselt schnell …
RATANÀ
Moderne Slow-Food-Osteria mit einem göttlichen Risotto.
www.ratana.it
MATER BISTROT
Kreative Bistronomie-Küche mit tollem Naturwein-Angebot.
www.materbistrot.it
BITES
Diese asiatisch inspirierten «Häppchen» versprechen Hochgenuss!
www.bitesrestaurant.com
Tintenfisch-«Nudeln» und geräucherter Kaviar im «Bites».
Der «French Toast» im «Bites» ist Gourmet-Comfort-Food allererster Güte.
Geschmacksexplosion: Risotto mit Gorgonzola, Rande und Wasabi im «Mater Bistrot».
Milano besitzt auch einen wunderbar melancholisch-nostalgischen Charme: Man findet ihn beim Spaziergang am Naviglio Grande, bei der Fahrt mit der alten Strassenbahn oder in den richtig authentischen Trattorien.
Im Winter, wenn der berühmt-berüchtigte Mailänder Nebel sich über die Metropole legt, genau dann zeigt Milano sein anderes Gesicht. Das Gesicht einer alten Stadt, die vieles gesehen und erlebt hat, eine Stadt, die auch mal ächzt und stöhnt, aber ihre in Würde angesetzte Patina mit Stolz trägt. Wenn in den alten Gassen mit ihren Jahrhunderte alten, teils russgeschwärzten Fassaden das schrille Kreischen der archaisch wirkenden Trams widerhallt, dann macht sich eine nostalgische, leicht schwermütige Art von Glück breit. Das letzte spärliche Licht der Wintersonne spiegelt sich in der schnurgeraden Rinne des Naviglio Grande, dem alten Kanal, ohne den diese Stadt nicht wäre, was sie heute ist. Die Navigli, das sind die künstlichen Wasserstrassen, die Milano mit den Flüssen Ticino, Ada, Lambro und Po verbindet, eine Lebensader, ohne die man den weissen Marmor für den Bau des Doms kaum so einfach hätte ins Zentrum transportieren können. Im Zuge der Modernisierung wurden die meisten dieser Kanäle im 20. Jahrhundert wieder zugeschüttet, doch der Naviglio Grande, der Grosse Kanal, ist geblieben. Einst galt die Gegend um den Naviglio als heruntergekommen, doch die Milanesi haben den Charme des Viertels längst wiederentdeckt; hier wimmelt es nun von Ateliers, kleinen Vintage- und Secondhand-Läden und natürlich jeder Menge Bars und Restaurants, die dazu einladen, die romantische Atmosphäre dieses Orts in sich aufzusaugen. Besonders im Winter, wenn der übliche Trubel etwas abgeklungen ist, verströmt der alte Kanal mit seinen Brücken eine geheimnisvolle Melancholie, die man in ausgedehnten Spaziergängen auf sich wirken lassen kann.
Abendstimmung am Naviglio Grande.
Und wenn Hunger und Kälte überhandzunehmen drohen, besteigt man die alte Strassenbahn und rumpelt einmal quer durch die Stadt, bis in den Norden, fast bis zum Bahnhof Porta Garibaldi, und kehrt ein in der «Antica Trattoria della Pesa». Ist dies der Archetyp einer Trattoria? Altes Holz, weisses Gewölbe, schlicht, aber stilsicher, ein Ort, der in seiner lakonischen Schönheit eine unendlich charmante Makellosigkeit ausstrahlt. Das Haus ist seit Ewigkeiten in Familienbesitz, man kennt sich, es ist das erweiterte Wohnzimmer einer treuen Stammkundschaft. Touristen: Fehlanzeige. Es versteht sich fast von selbst, dass es in dieser Trattoria eine Mailänder Küche gibt, wie sie die Nonna selber noch kannte; hier kriegt man noch «Faraona in Carpione», gegartes, aber zimmerwarm serviertes Perlhuhn unter süss-saurem Gemüse – und natürlich Risotto alla Milanese ohne jeden Schnickschnack: buttrig und golden, so opulent und wärmend, dass jeglicher Gedanke an winterliche Kälte sogleich verpufft, ja, da bleibt kein einziges Reiskorn im Teller. Essen für die Seele nennt man das wohl. Doch keine Mahlzeit in der Antica Trattoria della Pesa wäre komplett ohne die beste Zabaione der Stadt, ein warmer handgeschlagener schäumender Traum, wie eine innige Umarmung, die einen wirklich glauben lässt, zu Hause zu sein. Ein Platz, wo man sich zu Hause und willkommen fühlt, wo es traditionelles Essen gibt, und den man mit höchstem Wohlbefinden wieder verlässt, das hatte auch Diego Rossi im Sinn: «Ich habe mein Restaurant eröffnet, weil ich nicht wusste, wo ich essen gehen sollte.» Also setzte der Koch, der bei Grössen wie Norbert Niederkofler sein Handwerk perfektioniert hatte, sein Vorhaben in die Tat um: Die Trattoria «Trippa» war geboren. Der Rest ist Geschichte. In nicht einmal fünf Jahren hat Diego die Mailänder Gastroszene komplett auf den Kopf gestellt, der Laden ist eigentlich dauernd ausgebucht, denn ein Tisch im «Trippa» ist der wohl heissbegehrteste der ganzen Stadt. Und das alles mit Kutteln?! Worin liegt das Geheimnis? Diegos Küche ist für Gourmets und Freunde des Rustikalen gleichermassen, sowohl Rock 'n' Roll als auch Volksmusik, eine wuchtige, die nachhallt, das Umami-Pedal ordentlich durchdrückt, aber dennoch zugänglich bleibt. Die Speisekarte wechselt ständig und bietet Platz für alles, was die gehobene Gastronomie als «minderwertig» stehen lassen würde, jede Menge Innereien und alles, worauf der Küchenchef gerade Lust hat. Und natürlich die namensgebenden Kutteln.
Wohlfühlessen: Risotto alla Milanese in der «Antica Trattoria della Pesa».
Die Präsentation ist machomässig, ohne Schnickschnack wie das Mise en Place und das Vintage-Dekor der alten Schule: Warum sollte man mit dem Kalbstatar ein Türmchen bauen, wenn man es auch als archaische rote Masse auf den Teller knallen kann? Nur Salz und Pfeffer, mehr braucht das aus der «Goletta», also dem Teil zwischen der Schulter und dem unteren Teil des Kopfes geschnittene Fleisch auch nicht, alles andere würde den fulminanten Eigengeschmack schlicht überdecken. Immer auf der Karte ist Diegos Signature Dish, «Trippa fritta», also frittierte Kutteln … und was soll man dazu sagen: Selbst wer von sich behauptet, Kutteln aus tiefstem Herzen zu verabscheuen, den wird dieses Gericht unausweichlich bekehren: aussen heiss und knusprig, nur gewürzt mit Meersalz und Rosmarin, innen butterzart und fleischig … «Wie macht der Kerl das bloss?!», gerät man prompt darüber ins Grübeln, doch schon wird wieder aufgetischt. Kutteln mit Tomaten, Schwarzkohl und Parmesan, kochend heiss blubbernd im Terrakottatöpfchen. Und da ist es wieder: das gute Gefühl, irgendwie zu Hause zu sein …
Die alten Trams versprühen einen nostalgischen Charme.
Bekehren selbst Kuttelhasser: frittierte Kutteln im «Trippa».
ANTICA TRATTORIA DELLA PESA
Familiär, authentisch, stilecht: Genau so muss eine Trattoria sein.
www.anticatrattoriadellapesa.com
TRATTORIA TRIPPA
Der heisseste Tisch der Stadt! Der Aufwand beim Reservieren lohnt sich allemal.
www.trippamilano.it
Wer Milano mit ein paar kulinarischen Souvenirs verlassen möchte, hält sich am besten an diese ausgesuchten Adressen:
PECK
Für Mailänder Gourmets hat der Name «Peck» einen geradezu magischen Klang, denn die Traditionsadresse gilt als unangefochtenes Mekka für regionale und überregionale Delikatessen aller Art. Auch die Wein- und Spirituosenabteilung im Untergeschoss ist schlicht grossartig.
www.peck.it
GALLERIA VITTORIO EMANUELE II
Die «Mutter aller Shoppingmalls» ist in der Tat eine beeindruckende Angelegenheit. Bei «Marchesi» findet man erstklassige Patisserie- und Schokoladenkreationen sowie die einmalige Gelegenheit, seinen Kaffee in herrlich luxuriöser Umgebung zu geniessen.
EATALY
Die Smeraldo-Filiale von Eataly ist eine der grössten des Landes. Egal, ob Olivenöl, Spirituosen, Wein, Pasta, Reis, Wurst, Schinken oder Käse – hier findet man fast alles, was in der italienischen Delikatessenlandschaft Rang und Namen hat. Praktischerweise gehören zu diesem modernen Feinkost-Konzept auch noch Cafés und mehrere Restaurants.
www.eataly.net
ROSSI & GRASSI
Dieser Feinkostladen bietet die ganze Palette an typischen Wurst- und Schinkenspezialitäten, sowie Käse und jeden Tag frisch zubereitete «Pasta fresca» Ein kleines Restaurant gehört ebenfalls dazu.
www.rossiegrassi.it
Unser Reiseredaktor Nicolas Bollinger interessiert sich stets für die kleinen feinen kulturellen Unterschiede, die einem beim Reisen auffallen. Heute: Typisches und Untypisches.
Was ist typisch für eine Stadt? Bei der Beantwortung dieser Frage stehen sich sehr oft das Klischee und das Authentische, das «Echte» gegenüber. Was ist typisch für Milano? «Campari!» mag da manch einer gleich ausrufen, ebenso wie diejenigen, die das als Klischee für Touristen abtun. Ein Ort wie die Bar «Camparino in Galleria» würde eigentlich alle Bedingungen erfüllen, um als Symbol für touristischen Mailandkitsch Bekanntheit zu erlangen. Allein nur das Setting: eine Bar in einer der spektakulärsten Einkaufspassagen der Stadt, direkt am Dom, und der Ort, an dem Campari geboren wurde. Die Wahrheit ist aber: Den Aperitivo bei Campari zu zelebrieren, ist Klischee und Wahrhaftigkeit zugleich, ein Ritual, das Milanesi und Touristen gleichermassen schätzen. Für viele Einheimische ist es immer noch der ultimative Ort für einen Campari Seltz, um sich auf einen Abend in der Scala oder eine Ausstellungseröffnung im Palazzo Reale vorzubereiten – oder um ganz einfach nur nach der Arbeit einer urtypischen Mailänder Gewohnheit zu frönen. Genauso, wie man sich das im von Geld und Grandezza geprägten Herzen der Stadt vorstellt. Apropos: Auf die Frage, in welchem Restaurant von Milano die Tische am begehrtesten sind, würden jetzt sicher viele ganz klischeebeladen antworten, bestimmt in irgendeinem überteuerten Luxusschuppen! Denkste. Es ist die Trattoria Trippa, buchbar höchstens zwei Wochen im Voraus, jeden Tag um Punkt 12 Uhr wird ein neuer Termin für die Buchung der 10 Tische und 3 Hocker an der Theke freigegeben. Und die sind meist sehr schnell ausgebucht. Spezialität des Hauses sind frittierte Kutteln. Überraschend? Auf jeden Fall, aber auch typisch für Milano …
Ein Schnappschuss
Ein Mailänder Ritual: In der Hand ein Glas Campari Seltz und gemächlich das Treiben auf der Piazza del Duomo und in der Galleria Vittorio Emanuele II beobachten.