Rentiere kreuzen unseren Weg. Immer wieder. Faszination mischt sich mit dem ungläubigen Staunen darüber, mit welcher Ungeniertheit diese anmutigen Tiere am Strassenrand nach Fressbarem suchen, die Fahrbahn queren und auch nie eine Sekunde lang darauf kämen, sich von so etwas Ordinärem wie einem Auto beeindrucken zu lassen. Vielleicht ist diese Verblüffung das offensichtlichste Anzeichen, an dem man Finnisch-Lappland-Novizen erkennt. Kein Wunder, denn wer sich das erste Mal in dieser Landschaft bewegt, muss erst einmal zurechtkommen mit dieser nahezu unendlichen Weite, diesem endlosen Meer aus Wäldern, das höchstens von einem See oder einem Fjell bzw. Tunturi (so nennt man die Berge hier) auseinandergerissen wird, einem Landstrich, in dem mehr Rentiere als Menschen – gerade einmal zwei pro Quadratkilometer – leben. Nördlich des Polarkreises erstreckt sich der finnische Teil von Lappland auf einer Fläche von 100 000 Quadratkilometern. Dessen Ureinwohner, das mit seinen Rentierherden umherziehende Volk der Samen, haben diese Gegend geprägt und sich dem Rhythmus der Natur harmonisch angepasst. Besonders reizvoll ist das Land im Herbst, der nach wie vor als Geheimtipp gilt. Der Herbst in Lappland ist kurz, aber intensiv; er beginnt in der ersten Septemberhälfte und dauert kaum zwei Wochen. Das Laub färbt sich am Polarkreis viel schneller und intensiver als weiter unten im Süden – das bietet eine Reihe unschätzbarer Vorzüge: In der «Ruska»-Zeit, dem finnischen Pendant zum «Indian Summer», ist alles erleuchtet!
Das warme Licht der Sonne taucht die Bäume, Sträucher und Waldböden in kräftige Gelb-, Orange- und Rottöne und in den bereits kälter werdenden Nächten spiegelt sich das geradezu erhabene Schauspiel der Nordlichter in den Oberflächen glasklarer Seen. Deren Wasser und auch die Luft sind übrigens die saubersten überhaupt; eine ideale Grundlage also für alles, was darin lebt und wächst. Lachse, Maränen und Forellen aus den Flüssen und Seen, Beeren, Kräuter und Pilze aus den Wäldern und natürlich Wildbret in jeglicher Form, allem voran das Rentier. Kulinarisch kommen vor allem Puristen auf ihre Kosten, denn die Finnen lieben den unverfälschten Grundgeschmack einer Speise: Lamm muss nach Lamm schmecken und grundsätzlich das Rentier-Fleisch nach Lappland, schliesslich ist das Fleisch dieser Tiere ein wesentlicher Bestandteil der samischen Küche. Gebraten vom Grill oder als Geschnetzeltes mit Kartoffelpüree und frischen Preiselbeeren findet man es fast überall, doch es es werden natürlich alle Teile des Rentiers genutzt: als Aufschnitt, Trockenfleisch, Hackfleisch und Würste ... Kaum eine Erfahrung bringt die kulinarische Essenz von Finnisch Lappland besser auf den Punkt als eine Mahlzeit in einer «Kota», einer einfachen Grillhütte aus Holz, die meist mitten im Wald steht und den Samenzelten nachempfunden ist. Als die Samen noch nicht sesshaft waren, boten die Kotas ihnen Unterschlupf und Wärme. Heute sind Kotas mit ihren eingebauten Feuerstellen vor allem als Treffpunkt für Grillfeste sehr begehrt. Direkt aus Wäldern und Gewässern in den Rauch und die Flammen, gleichwohl, ob Beeren, Pilze, Gemüse, Wild oder Fisch, hier erschafft das offene Feuer ein ganzes Menü: puristisch, naturnah und wild – genauso wie Finnisch Lappland selbst.
In Finnisch Lappland gibt es viel zu sehen und zu erleben – diese Höhepunkte sind uns besonders in Erinnerung geblieben:
1 DIE NORDLICHTER
Da lohnt sich das Wachbleiben: Egal, wie oft man es erlebt, dieses Naturspektakel ist und bleibt atemberaubend!
2 VON DER SAUNA IN DEN SEE
Ein Saunagang gehört hier einfach dazu. Besonders eindrücklich wird das Erlebnis, wenn man aus der Hitze direkt in einen See springen kann.
3 DER BLICK VOM UKKO-LUOSTO
Erst, wenn man auf dem Gipfel eines Tunturis steht, erhält man einen Eindruck von der überwältigenden Weite der Landschaft. Beim Ukko-Luosto überwindet eine Treppe die steilsten Passagen.
4 ECHTES FEUERKOCHEN
Aus Feuer und Rauch: Eine Mahlzeit in einer echten Kota verspricht ein authentisches Ess-Erlebnis.
5 RUSKA!
Wenn Herbstfarben die Landschaft erleuchten, wird die Stimmung geradezu magisch. Die ersten beiden Septemberwochen eignen sich dafür am besten.
Die schnellste und auch bequemste Option ist aus schweizer Sicht der Direktflug von Kontiki Reisen: In rund 3½ Stunden fliegt man nonstop von Zürich nach Finnisch Lappland. Am kleinen Flughafen Kittilä mietet man dann am besten ein Auto. Sommer- und Herbstflüge: Jeden Samstag vom 11. Juni bis 17. September mit Helvetic.
Diese Reise wurde unterstützt durch Kontiki Reisen.
Rentiere – auch in Luosto sind sie ein allgegenwärtiger Begleiter.
Hier wird er wahr, der nordische Traum: eine Blockhütte in den Wäldern, grandiose Erlebnisse in der freien Natur – und natürlich Rentiere am Laufmeter
Ein Schritt und noch ein Schritt und noch ein Schritt, mit jeder Stufe etwas höher. Das Herz klopft bis zum Hals, einatmen, ausatmen, es geht steil bergauf, 670 Stufen durch unwegsames Geröll – und nach jedem einzelnen Tritt wird die Aussicht noch überwältigender, ehe man irgendwann auf dem Gipfel des Ukko-Luosto steht, einer kargen Erhebung, die mit ihren 514 Metern die Wälder bei Weitem überragt. Da ist sie wieder, diese Ehrfurcht einflössende unermessliche Weite, Wälder, nichts als Wälder, ein Meer aus Bäumen bis zum Horizont – eine erhabene Landschaft. Luosto, das heisst entweder sich klein, verloren und unbedeutend zu fühlen oder sich an der Einsamkeit zu erfreuen. Denn davon bietet der winzige 200-Seelen-Ort vor den Toren des Pyhä-Luosto-Nationalparks mehr als genug. Hier wird alles, was normalerweise als «Alltag» gilt, auf einen Schlag klein und unwichtig, und man findet den Inbegriff eines skandinavischen Klischees: Eine Blockhütte inmitten der Wälder, im Kamin züngeln die Flammen, während die hauseigene Sauna langsam auf Betriebstemperatur kommt, bahnen sich draussen Rentiere ihren Weg durchs Unterholz. Falls jedoch irgendwann der Wunsch nach etwas Gesellschaft, nach anderen Stimmen aufkeimt, empfiehlt sich eine gut 20-minütige Fahrt in südöstlicher Richtung, wo am Fusse des Pyhätunturi das «Huttuhippu» liegt: Eine urgemütliche Mischung aus Irish Pub und kanadischer Trucker-Bar, wo Hardrock aus den Boxen dröhnt und bärtige, Holzfällerhemden tragende Einheimische es sich bei lappischem Ale und Rentierpizza gut gehen lassen.
Ruhe, Stille, Entschleunigung: Die Gegend um Luosto punktet mit einer fast unberührten Natur.
Die kleine, oft wechselnde Karte bietet auch unerwartet filigrane Gerichte wie etwa eine mit Sauerrahm gefüllte Brikteig-Tartelette mit geräuchertem Hecht und Forellenkaviar. Das klassische Rentiergeschnetzelte mit Kartoffelpüree und Preiselbeeren ist immer eine gute Wahl, genauso wie der Brownie mit Heidelbeerglace und frischen Beeren. Inmitten der wirklich anständigen Whisky-Auswahl sticht zum Abschluss die Flasche mit dem Schriftzug «Savu» ins Auge. Finnischer Single Malt, wunderbar torfig-rauchig. Kippis! Apropos Rauch. In Finnland gibt es sie noch recht häufig, traditionelle Saunen mit dunklen, russgeschwärzten Wänden, weil sie nur mit einem ursprünglichen Holzofen befeuert werden. Kein Lappland-Trip wäre vollständig ohne eine solche Erfahrung: In Finnland, dem Land der Tausenden von Seen und Millionen von Saunen (auf 5,5 Millionen Einwohner kommen etwa drei Millionen Saunen) liegt eigentlich nichts näher, als diese beiden Elemente miteinander zu verknüpfen. Zu einem perfekten finnischen Saunaerlebnis gehört folglich auch ein erfrischendes Bad in den Gewässern der Natur, ganz unabhängig von der Jahreszeit. Am Ufer des Sees Pyhäjärvi hat sich Antti Keskitalo mit seiner «Lucky Ranch» einen Traum verwirklicht: ein Gästehaus mit Iglus, Langlauf- und Schneeschuhtouren im Winter sowie Wanderungen und Ausflügen zu Pferd in den wärmeren Monaten. Das alles bewältigt Antti fast gänzlich in Eigenregie, genauso wie die «Sauna-and-Dinner-Experience». Als wir Antti am Seeufer treffen, qualmt es bereits ordentlich aus dem Schornstein der kleinen Saunahütte. «Ich muss noch kurz fischen gehen, kommt ihr mit?» Was für eine Frage, natürlich wollen wir! Mit ein paar kräftigen Ruderzügen manövriert Antti sein kleines Boot zu den gestern ausgeworfenen Fischfallen, ein Lächeln huscht ihm übers Gesicht. Auch der Umstand, dass sich kein einziger Fisch in die drahtigen Käfige verirrt hat, mag seine Stimmung nicht trüben, denn natürlich hat er für diesen Fall vorgesorgt. Während Antti in der Küche verschwindet, setzen wir uns in den heissen, aromatisch duftenden Dampf der Holzkohlesauna. Doch wer schwitzt, muss sich irgendwann auch abkühlen: Von der Hütte bis zum See sind es nur ein paar Meter, die Wassertemperatur beträgt angenehme zehn Grad. Jetzt nur nicht zu lange zögern und … Pflatsch! Erstaunlicherweise bleibt der befürchtete Schock aus, dafür aber machen sich Zufriedenheit, wenn nicht gar Euphorie breit und mit jeder Wiederholung fühlt man sich noch besser. Nun aber hinüber ins Haupthaus, wo Antti Holz in einer mitten im Raum stehenden Feuerstelle auftürmt und in Brand setzt. Bei einem Jaakkola-Bier (mit fermentiertem Steckrübensaft!) schwärmt Antti von der lokalen Grillkultur – «am offenen Feuer schmeckt es einfach besser» – und packt zwei fast rötlich leuchtende Lachstranchen in einen metallenen Grillkorb. Jetzt wird aufgetischt. Getrocknetes, gesalzenes Rentierfleisch mit sauer eingelegten Gurken, finnische Blutwurst mit frischen Preiselbeeren und natürlich das unverzichtbare Rentiergeschnetzelte, in diesem Fall mit herrlich knuspriger Kruste. Köstlich, aber der im Feuer gegarte Lachs stielt allen die Show: würzig, aromatisch, fettfleischig und rauchig, exzellent! Zum Schluss führt uns Antti zu den Stallungen und zeigt uns seine Pferde. Und da ist es wieder, dieses Lächeln. Wir müssen uns Antti als einen glücklichen Menschen vorstellen.
Multitalent Antti betreibt die «Lucky Ranch».
Authentischer Flammlachs in der «Lucky Ranch».
Ein eigenes Reich in den Wäldern: Luosto ist ideal für Blockhausferien.
Am Olkka-See, etwas ausserhalb von Rovaniemi, liegt das «Apukka Resort», ein wahrhaft besonderer Ort, an dem sich alles um die Nordlichter dreht.
Ein Steg, ein See, unglaublich viele Möglichkeiten: Auf dem Floss befindet sich die Sauna, mit den hölzernen Ruderbooten geht man auf Nordlichtjagd.
Was ist Schönheit? Wo ist Schönheit? Nun, wenn man erst einmal ein paar Tage durch die überwältigende Natur Finnisch Lapplands streift, ist man gerne geneigt zu sagen: überall! Da wirkt ein Ort wie Rovaniemi geradezu wie ein störender Kontrast. Denn eine Schönheit im klassischen Sinne ist die Hauptstadt der Region nun wirklich nicht, was vor allem an den deutschen Bombardements im Zweiten Weltkrieg liegt, die den Ort vollends in Schutt und Asche legten. Abgesehen von ein paar Gebäuden von lvar Aalto, einem der bedeutendsten Architekten Finnlands, dominiert im heutigen Rovaniemi eine Mischung aus Monotonie und schnödem Nachkriegsbrutalismus. Wir verlassen die «Heimatstadt des Weihnachtsmanns» in nordöstlicher Richtung. Unterwegs überqueren wir eine unsichtbare Linie, die auch Finnland in zwei Teile teilt. Die magische Zahl 66° 33’ markiert diese Linie, den Polarkreis. Nördlich von ihm erstrahlen im Sommer die Mitternachtssonne und ab dem Herbst die Nordlichter. Der Polarkreis verläuft übrigens auch direkt durch das «Santa Claus Village», Rovaniemis berühmteste Attraktion, nur etwas ausserhalb der Stadt gelegen. Was im Winter, wenn eine massive Schneedecke der Landschaft ein märchenhaftes Antlitz verleiht, durchaus charmant sein kann, wird in der herbstlichen Zwischensaison in sein Gegenteil verkehrt. Daher hier ein «warnender» Hinweis, das Weihnachtsmanndorf in dieser Zeit links liegen zu lassen, es sei denn, man möchte sich an der Tristesse geschlossener Attraktionen, einer grenzenlosen Kitschorgie, erlesenen kulinarischen Köstlichkeiten wie «Santas Pizza & Burger» und einer Dauerbeschallung mit Weihnachtsliedern ergötzen.
Rindertatar, Randencarpaccio und Rentier-Rilette im Restaurant «Aitta».
Zurück zur Schönheit. Diese liegt ab September wahrhaftig in der Luft bzw. im Himmel, denn nun beginnt der vielleicht beste Zeitraum, um einen Blick auf die sagenhafte Aurora borealis zu erhaschen. Für das Volk der Samen war es ein Fuchs, der über die Fjells Lapplands rennt, mit seinem Schwanz Schnee aufwirbelt und Funken in den nördlichen Himmel schleudert, einen Bogen aus Feuer, der die dunkle Landschaft erhellt. Die Wikinger sahen in den Lichtern den reflektierten Glanz der Walküren, die nach Walhall ritten; heute wissen wir, dass es an den Sonnenstürmen liegt, wobei starke Ladungen elektrischer Teilchen mit einer unvorstellbaren Geschwindigkeit ins All geschleudert werden. Und wenn einige davon auf die Erde treffen, werden sie von deren Magnetfeld zu den Polen gelenkt, die geladenen Teilchen treffen auf Atome der Atmosphäre (vor allem mit Sauerstoff- und Stickstoffteilchen) und erzeugen so das Leuchten. Geblieben ist dieser hypnotische Bann … Wo immer Nordlichter auftauchen, blicken die Menschen gebannt in den Himmel, fasziniert von diesem geradezu auratischen Spiel der Lichter. Eine Faszination, die auch uns nicht kalt lässt. Gut 16 Kilometer nordöstlich von Rovaniemi befindet sich das «Apukka Resort», dank seiner einzigartigen Lage direkt am Olkka-See nicht nur ein aussergewöhnliches Hotel, sondern gleichzeitig auch ein «Aurora Center» – hier dreht sich alles um die Nordlichter: Statt eines gewöhnlichen Hotelzimmers beziehen wir eine «Aurora Cabin» eine Art Iglu aus Holz und Glas, wo man nachts nicht einmal aufstehen müsste, um das Spektakel am Himmel zu betrachten, denn die gläserne Decke bietet freie Sicht auf die Weite des arktischen Firmaments. Es vibriert in der Hosentasche, eine Nachricht. Nordlichtalarm! Hohe Aktivität bei leider nicht unerheblicher Bewölkung. Vielleicht klappt es ja heute Nacht…
Jetzt aber zum Abendessen ins ressorteigene Restaurant «Aitta». Gleich am Eingang lodert ein wohliges Feuer im grossen Kamin, wo mit Rentierfellen gepolsterte Sessel einen gemütlichen Aperitif mit nordisch inspirierten Cocktails geradezu einfordern; statt Kir Royal gibt es «Lappish Royal» (mit Moltebeerenlikör anstatt Crème de Cassis) oder einen «Apukka Old-Fashioned» mit Bourbon, Fichtensprossen-Sirup und Bitter. Der Blick schweift von den Flammen in den imposanten Gastraum aus alten Baumstämmen, der sich in einer riesigen Fensterfront zum See hin öffnet. Die nordische Küche im Aitta macht es uns nicht leicht. Bei den Vorspeisen sollte man sich entscheiden zwischen Hummersuppe mit Flusskrebs-Arancini und Dillcreme, einem Carpaccio aus gerösteter Rande mit Meerrettich-Mayo und Parmesan, Rentier-Rilette an Sanddornsauce und zu guter Letzt einem Rindertatar mit Eigelb, Schalotten, eingelegten Bärlauchkapern und Senfsaat – ach was, wir bestellen einfach alles! Wir sollten es nicht bereuen. Nach dem Hauptgang – geschmorte Rentierhaxe an einer tiefgründigen dunklen Wildsauce – ein erneuter Blick zum Himmel. Nur ein paar Wolken. Zwei Stunden später setzen wir uns, mit Thermoanzügen und Schwimmwesten ausgestattet, in einen alten Holzkahn und rudern auf den See, hinaus in die Dunkelheit. Zwischen elf Uhr nachts und drei Uhr am Morgen stehen die Chancen am besten. Warten. Rudern. Spähen. Eine Erfolgsgarantie gibt es bei solchen Nordlichttouren leider nicht. Die Wolken verdichten sich an einem Ort und reissen an einem anderen wieder auf. Sanftes Grün schimmert kurz auf und wird unversehens von der Nacht verschluckt. Besser wird es wohl nicht. Als wir zurückrudern und am hölzernen Steg anlegen, bemerken wir dieses Saunahüttchen, das auf einem Floss im See treibt… aber das ist eine andere Geschichte. Szenenwechsel. Der Schlaf unter der gläsernen Kuppel endet abrupt um drei Uhr morgens. Vibrieren, Nordlichtalarm! Direkt über uns strahlt die Aurora mit voller Kraft, eine Eruption grünen Lichts, Wellen, die in der Dunkelheit tanzen und so schnell wieder verschwinden, wie sie gekommen sind. Wahre Schönheit ist flüchtig.
Die «Aurora Cabins» bieten freie Sicht auf den arktischen Himmel.
APUKKA RESORT
Schlafen unter den Sternen, Seesauna, herausragende Gastronomie und Nordlichttouren mit dem Boot – so wird ein Aufenthalt zum Erlebnis.
www.apukkaresort.fi
Die Nordlichter: jedes Mal aufs Neue faszinierend.
Das Tor zum Pallas-Yllästunturi-Nationalpark bietet eine atemberaubende Natur und grossartige Gastronomie.
Los, zieht die Schuhe aus!» Anu lächelt freundlich. Aber sie meint es ernst. «Probiert es einfach!» Klar, wieso denn auch nicht? Und so schreiten wir sogleich mit Anu, dieser liebenswürdigen Frau und Teilzeitschamanin (wie sie sich augenzwinkernd selbst nennt) durch das Unterholz der lappischen Wälder, um Beeren und Pilze zu suchen, unter den Füssen nichts als Moos und Gebüsch. Ein überraschend angenehmes Gefühl, denn es ist tatsächlich wie ein einziger flauschiger Teppich, der den Boden bedeckt. Das sei nicht nur gut für die Füsse, sondern es erde einen, bringe einen der Natur näher, so Anu. Wir befinden uns in Äkäslompolo, dem Tor zum Pallas-Yllästunturi-Nationalpark mit seiner gewaltigen Fjell-Landschaft, dramatischen Schluchten und glasklaren Seen, kurzum ein Ort, wo sich die Natur noch überwältigender gibt, als sie es in Finnisch Lappland ohnehin schon tut. Allmählich weicht das Grün den Gelb-, Orange- und Rottönen, eine Explosion der Farben steht unmittelbar bevor, Ruska, der finnische Herbstsommer, ist zum Greifen nah und der Wald entlädt seine ganze Lebenskraft wie im Rausch. Ein Füllhorn an Beeren und Pilzen, das vom Eichhörnchen bis zum Bären alle Tiere nährt, um den Winter am Polarkreis zu überleben. Sehr weit kommen wir nicht. «Ah, eine Fuchsrotkappe», ruft Anu entzückt und greift sich den zu den Röhrlingen gehörenden Speisepilz. In der samischen Kultur spielen Pilze als Nahrungsmittel eigentlich keine Rolle, sie gehören den Rentieren und anderen Waldbewohnern. Nach nur wenigen Minuten quillt der Korb beinahe über vor Pilzen, Heidelbeeren, Krähenbeeren und Cranberrys. Auch Wacholder gäbe es in Hülle und Fülle, doch den brauchen wir nicht für das heutige Menü. Wir treffen auf Toivo Quist, dessen Tipi bzw. Zelt-Kota das ganze Jahr über im Wald steht. Keine Angst, Toivo lebt nicht darin, sondern kocht nur leidenschaftlich gerne in der offenen Feuerküche. Wie Anu arbeitet der ehemalige Langlaufprofi im «Ylläshumina», einem urgemütlichen Blockhaushotel, dem ältesten und bekanntesten von Äkäslompolo, – sie in der Küche, er als Hotelier. Als wir mit unserer Ausbeute die Kota betreten, züngeln die Flammen bereits in der Feuerstelle. «Das ist keine Show für Touristen», so Toivo, «wir lieben es einfach, so zu kochen!». Und wenn man ihm dabei zuschaut, zweifelt man keine Sekunde lang daran: Mit ein paar gekonnten Handgriffen säubert und schneidet der Chef die Pilze, stellt eine gusseiserne Pfanne auf einem Rost ins Feuer, gibt etwas Butter hinein und lässt die Röhrlinge braten; ein verführerisches Brutzeln und Zischen mischt sich mit dem Knacken des brennenden Holzes. Jetzt geht es schnell, mittels eines Drahtgestells fixiert Toivo zwei prächtige Lachsforellenseiten auf Holzbrettern und platziert sie an der Glut, bald schmurgeln Kartoffeln in Butter und eine Sauce aus selber gesammelten Morcheln blubbert in der Pfanne – alles über ein und demselben Feuer. Die Fuchsrotkappen sind von Steinpilzen geschmacklich kaum zu unterscheiden, kräftig, nussig und hocharomatisch – der Saibling ist perfekt gegart, innen leicht glasig, die Haut schön knusprig und über allem diese verführerische Rauchnote.
«Lappish Flavours» im Restaurant «Poro».
Toivo muss es ja wissen, denn als Herr über ein Hotel steht er für eine puristische lappische Küche, die auf klare Aromen und beste Produkte setzt und sich so in der erstaunlich vielfältigen Gastroszene von Äkäslompolo zu behaupten weiss. So findet man auf der Karte des Ylläshumina-Bistros neben geschmacksintensivem Rentier-Carpaccio auch Signature-Gerichte wie Rentier-Spareribs und Rentier-Leber. Alles dreht sich um das unangefochtene Symbol der lappischen Kultur, so auch im Restaurant «Poro» (Finnisch für Rentier), wo man den Abend am besten mit «Lappish Flavours» beginnt, einem herausragenden Spaziergang durch die nordischen Wälder und Gewässer, wo in Form eines farbenfrohen Mosaiks getrocknetes Rentierherz, geräucherte Mousse vom Saibling, Elch-Pastrami und Pfifferlings-Ceviche aufeinandertreffen. Das Rentier kehrt im Hauptgang indes in Form von Roastbeef, Pardon, Reindeerroast mit Wacholdersauce und Preiselbeeren zurück, perfekt begleitet von einem Glas roten Natural Wine aus der finnischen «Noita Winery». Moment, Wein aus Finnland? Nein, so weit ist der Klimawandel dann doch noch nicht fortgeschritten, doch der Tropfen, den ein paar finnische Weinfreaks im österreichischen Burgenland keltern, kann sich wirklich sehen lassen.
Die grösste Verblüffung dann zum Schluss: Der «Leipäjuusto», der ur-lappische, am Feuer gegrillte Käse zum Dessert schmeckt im «Poro» so unerwartet raffiniert und zart (mit Bratapfeleiscreme und süsssauren Moltebeeren), so fulminant, dass wir tatsächlich einen Nachschlag bestellen müssen. Für noch mehr kulinarische Raffinesse fährt man am besten auf die andere Seite des Yllästunturi, wo das «Aurora Estate» in bester Lage am kleinen See Ylläsjärvi residiert. Von der geräucherten Kürbissuppe mit Fichtenöl über selbst gemachte Steinpilzpasta (mit Pilzen aus der Region) bis hin zu nordischen Tapas (Saibling-Ceviche mit Saiblingskaviar und Dill, Rentierzunge mit getrüffelter Mayonnaise) und Rentier-Tournedos mit einem unerhört rauchig-speckigen Sauerkraut, gerösteter Gerste und Kartoffelpüree – ein grossartiges Menü, das mit einer hinreissenden «Magnum»-Glace aus Moltebeeren und weisser Schokolade einen würdigen Abschluss findet. Und als ob es ein Zeichen wäre, gibt die Aurora borealis ein paar Stunden später einen letzten flüchtigen Tanz zum Besten – die Natur Äkäslompolos lässt wirklich nichts aus.
Lappischer geht es nicht: Feuerkochen in der Kota.
Rauchige Kürbissuppe und Rentier im «Aurora Estate».
YLLÄSHUMINA
Heimeliges Blockhüttenhotel mit hervorragendem Restaurant.
www.yllashumina.com
PORO
Rustikales Rentier-Restaurant mit einer gewissen nordischen Raffinesse. Besonders der lappische Käse ist ein Gedicht!
www.ravintolaporo.fi
AURORA ESTATE
Finessenreiche nordische Küche mit internationalen Einflüssen.
www.auroraestate.fi
Der grösste und bekannteste Wintersportort des Landes überzeugt nicht nur mit urbaner Atmosphäre, sondern auch mit einem vielschichtigen Restaurantangebot.
Bereits vor und nach der Landung in Kittilä ist er kaum zu übersehen: Der Levitunturi, der mit seinen 531 Metern Höhe aus den Wäldern ragt und dank seiner 43 Pisten den kleinen Ort Levi zum grössten und berühmtesten Skigebiet Finnlands macht, was natürlich auch an den jährlich hier stattfindenden Slalomrennen des alpinen Skiweltcups liegt. Levi ist klein und überschaubar, aber dank seiner enormen Dichte an Hotels, Bars und Geschäften ist die Atmosphäre wesentlich internationaler als im Rest der Region. Und weil sich hier auf engsten Raum mehrere Dutzend Restaurants drängen, ist Levi auch kulinarisch nicht uninteressant. Bei unserem Besuch Anfang September liegt eine behagliche Stille über dem Ort und nichts deutet darauf hin, dass in zwei Monaten die Wintersaison beginnt und Heerscharen von Besuchern einfallen. Doch aller Popularität zum Trotz verhält es sich in Levi wie mit jedem anderen Ort in Finnisch Lappland: Ein paar Meter zu Fuss und man steht in der unberührten Wildnis und lässt den Rentieren den Vortritt. Falls einige davon ein rotes oder schwarzes Halsband tragen, gehören sie zur Herde von Esa Nilivaara, einem lokalen Rentierzüchter und Besitzer des Restaurants «NiliPoro». Mit diesem Lokal zollt Nilivaara seinen samischen Wurzeln Tribut, indem er authentische Rentiergerichte, zubereitet nach Rezepten seiner Mutter, serviert. Wer Glück hat, ergattert im mit viel Holz, Fellen und Geweihen ausstaffierten Gastraum einen Platz im Separee, einer urgemütlichen kleinen Holzhütte, die mitten im Lokal steht, und kann bei einem lokalen «Aihki»-Craftbier die Speisekarte studieren: geschmorte Rentierkeule, Rentier-Fleischbällchen oder doch lieber ein Rentier-Burger? Die Wahl fällt auf das traditionelle Rentiergeschnetzelte mit frisch in den Wäldern gesammelten Preiselbeeren und buttrigem Kartoffelpüree sowie die «legendären» Rentierwürste, ein ausgesprochen würziges und rauchiges Vergnügen.
Doch in Levi kommen auch Seafood-Liebhaber auf ihre Kosten: Im «King Crab House» kommt nur das Beste, was das arktische Meer zu bieten hat, auf den Teller, allen voran die berühmte Königskrabbe. Da diese «niedlichen» Ungetüme in den 1960ern von den Sowjets im Zuge eines Experiments in der Barentssee ausgesetzt wurden und sich zu einer invasiven Art entwickelten, die das marine Ökosystem bedroht, ist deren Fang und Verzehr letzten Endes Genuss im Namen der Nachhaltigkeit. Am besten bestellt man einfach die «King Crab Seafood Platter» für zwei Personen: Königskrabbenbeine mit drei verschiedenen Saucen, gebratener Königskrabbenschwanz, Miesmuscheln in einer cremigen Knoblauch-Petersiliensauce, geräucherter Hechtkaviar, gepökelte Felchen, Königskrabbenkroketten … egal in welcher Form, das Krabbenfleisch ist von einer grandiosen Zartheit, Intensität und leichten Süsse – selten hat Umweltschutz besser geschmeckt!
NILIPORO
Authentische Rentiergerichte in urgemütlicher Atmosphäre.
www.niliporoo.fi
KING CRAB HOUSE
Ein Paradies für Seafood-Fans und Königskrabben-Liebhaber.
www.kingcrabhouse.fi
BREAK SOKOS
Gemütliches Hotel mitten in Levi; die Zimmer verfügen über eine Privatsauna!
www.sokoshotels.fi
Unser Reiseredaktor Nicolas Bollinger interessiert sich stets für die kleinen feinen kulturellen Unterschiede, die einem beim Reisen auffallen. Heute: die glücklichsten Menschen der Welt.
Gemäss World Happiness Report sind die Finnen das glücklichste Volk der Welt, was auf den ersten Blick schwer zu glauben ist, wenn man das Land nur aus Kaurismäki-Filmen kennt. Ok, an dem Witz – Zwei Finnen treffen sich in einer Bar. «Prost,» sagt der eine. Sagt der andere: «Ich bin doch nicht hergekommen, um zu quatschen» – mag sicher was dran sein. Aber man merkt schnell, dass in Finnland einiges anders ist als bei uns und wer weiss, vielleicht erklärt sich so das Glück seiner Bewohner? Stichwort Naturverbundenheit: Was bei den meisten Schweizern gleichbedeutend mit einer Wanderung am Wochenende ist, läuft in Finnland auf einen Rückzug in eine schier grenzenlose, unberührte Natur hinaus. Kein Wunder, sind die finnischen Wälder doch tatsächlich mit einem weichen Moosteppich überzogen, der zum Barfusslaufen geradezu einlädt (ein tolles Gefühl, wirklich)! Auch das mit der Sauna ist kein Klischee: Man findet Saunen an Flughäfen, in Seilbahnen, auf Flössen und an anderen unmöglichen Orten … aber wenn man bedenkt, wie erholt, zufrieden und neugeboren man sich nach dem Schwitzen fühlt, wundert einen nichts mehr. Zum Schluss vielleicht noch die Sache mit dem typisch lappischen Käse: Als Schweizer hat man anfänglich seine liebe Mühe damit, diese quietschende Masse überhaupt als Käse anzuerkennen, doch je öfter man ihn probiert, umso besser schmeckt er, glauben Sie mir! Und irgendwann möchte man kein Mahl mehr ohne «Leipäjuusto» abschliessen. Auch das ist Glück.
Ein Schnappschuss
Lappischer Käse: Am Anfang gewöhnungsbedürftig entpuppt er sich als wahre Köstlichkeit.