So denkwürdig war der Abend, dass ich mich heute noch daran erinnere, als wenn es gestern gewesen wäre. Ich war alleine in Stuttgart und hatte so richtig Lust, gut essen zu gehen. Eigentlich gab es da nur eine Wahl, die Wielandshöhe, und genau da ging ich hin. Ich kannte den Sommelier gut und freute mich auf seine Weine. Zur Vorspeise bestellte ich einen heimischen Süsswasserfisch und der Sommelier empfahl dazu einen halbtrockenen Riesling von der Mosel (glasweise), obwohl er wusste, dass ich halbtrockene Weine zum Essen eigentlich nicht so mag. «Probier’s doch mal, und wenn er dir gar nicht schmeckt, dann wechseln wir ihn einfach aus.» Ich liess mich überreden und war nicht nur überrascht, nein, ich war beglückt über das Ergebnis. Der Wein und das Essen harmonierten hervorragend, ja sie umarmten sich förmlich auf dem Teller und dann im Gaumen. Der Abend hatte wunderbar begonnen und ich lehnte mich entspannt zurück: Mein Vertrauen in den Sommelier hatte sich gelohnt. Warum? Er kannte mich, er kannte die Küche und vor allem, er kannte die Weine in seinem Keller. Und genau davon können wir in der gehobenen Gastronomie eigentlich immer ausgehen. Niemand kennt die Weine in den dunklen Tiefen unter seinem Restaurant besser als der Sommelier, der sie oft auch selbst eingekauft hat. Und niemand kennt die Kreationen seines Kochs besser als er. Die Weinkarte sagt vieles aus über die Herkunft, die Jahrgänge und vor allem auch über die Preise. Der Sommelier aber weiss, was hinter den Etiketten in den Flaschen steckt, vielleicht unerwartete Überraschungen (wie bei mir).
Beratung ist zwar gut, aber was tun, wenn es keinen Sommelier von dieser Qualität im Restaurant gibt und ich alleine den Wein auswählen muss? Da hilft mir eigentlich nur die Weinkarte oder die Tafel an der Wand: Fast jedes Restaurant (manchmal sogar die Spitzengastronomie) hat ein Angebot an relativ günstigen offenen Hausweinen. Sie werden in Karaffen angeboten, zu einem viertel, halben oder sogar einem ganzen Liter und sind in Weingegenden meist ganz ordentlich. Sonst ist da eher Vorsicht geboten. Fast das Gleiche gilt für die hauseigenen Flaschenweine. In Weinregionen würde ich nicht zögern und eine Flasche aus der Gegend bestellen. Da ist es dann auch nicht so schlimm, wenn der Wein nicht ganz das hält, was man sich von ihm versprochen hat, man ist auf jeden Fall um eine Erfahrung reicher.
Annemarie Wildeisen: Du hast in deinem Artikel nur eine Seite des Themas «Wein im Restaurant» beleuchtet. Wenn ich auswärts esse, gibt es aber noch einige andere Rituale, die ich beachten muss, wenn ich einen Wein bestelle.
Beat Koelliker: Genau. Erstens bringt der Kellner die ungeöffnete Flasche, die man bestellt hat, zum Tisch und zeigt sie. Der Gast kontrolliert das Etikett und den Jahrgang. Wenn das alles stimmt, gibt er dem Kellner die Erlaubnis, die Flasche zu öffnen.
Ja, und dann wird’s spannend ...
... der Kellner schenkt nämlich einem der Gäste (ihm oder ihr) einen kleinen Schluck ein. Der Gast probiert und prüft den Wein. Ist er sauber, so ist der Kauf abgeschlossen und der Kellner schenkt allen ein. Hat er aber einen Fehler, so muss der Gast das jetzt melden. Meist probiert der Kellner dann auch und wechselt die Flasche ohne weitere Diskussionen aus. Schliesslich ist der Gast ja König.
Es gibt aber auch Grenzfälle.
Klar. Die betreffen meist einen nicht ganz deutlich erkennbaren Fehler oder beim offenen Wein eine etwas alte und müde gewordene Flasche. Da ist dann die Kulanz des Wirtes gefragt. Will er recht behalten, so verliert er sicher einen Gast und vielleicht einen Teil seines guten Rufs, zeigt er sich aber kulant, so gewinnt er vielleicht für lange Zeit einen zufriedenen Kunden.
Du sagst in deinem Artikel, «vertrauen und sich beraten lassen», sei eigentlich der Königsweg. Aber bei mir beginnt es schon viel vorher. Ich trinke gerne glasweise, zu jedem Gericht etwas anderes.
Mir geht es da ganz ähnlich und viele Restaurants bieten ja auch ein Menü mit fester Weinbegleitung an. Da erhält man zu jedem Gang ein passendes Glas Wein serviert. Dies ist auf jeden Fall ein höchst erfreulicher Trend.
Und sonst gibt es ja immer noch die Lösung mit den offenen Weinen in der Karaffe.
Also, vor allem in den Weinregionen der Schweiz, aber auch in Italien, Frankreich oder Deutschland würde ich immer die lokalen Angebote (offen oder in Flaschen) genau studieren. Fast immer kann man da Entdeckungen machen. Sonst muss man eher vorsichtig sein: wenn zum Beispiel nur die Rebsorte angegeben ist, wie Chardonnay oder Merlot, dann schrillen bei mir die Alarmglocken und ich bestelle lieber ein Bier.