Wenn ich selbstkritisch bin, muss ich zugeben, dass ich schon ein bisschen unter einer «Deformation professionelle» leide. Mein Umfeld weiss das und macht entsprechende Witze. Aber ich mag Witze wirklich viel lieber als Brechdurchfall … Erscheint mir ein Restaurant nicht wirklich hygienisch (ja, dafür schaue ich mal das WC – soll sauber sein – und die Grösse der Speisekarte an – je kleiner, umso frischer), wähle ich solche Speisen, die frisch gekocht und nicht aufgewärmt werden. Denn eins ist sicher: Erhitzen tötet Bakterien ab. Also lieber eine Pizza, Pommes oder ein Steak «à point» als ein Salatteller, ein rohes Carpaccio oder Tatar. Um Letzteres zu bestellen, muss ich Vertrauen in die Küche haben.
Alles, was roh ist, ist hygienisch einfach heikler.
Das gilt besonders für Schwangere, Kinder oder Menschen mit einem reduzierten Immunsystem.
Daheim sieht das anders aus. Ich bin einfach heilfroh, wenn ich nach dem Kochen und Essen möglichst rasch aufgeräumt habe. Was ich nur rüsten, raffeln, schneiden und mit einer Sauce mischen kann, schmeckt und ist meistens rasch zubereitet. Meine Kinder mögen rohes Gemüse eh lieber als gekochtes. Und die Stromrechnung fällt auch niedriger aus. Also spricht vieles für Rohkost, die ja nicht zwingend vegan sein muss.
Viele Prominente glauben ja fest daran, dass sie durch die vegane oder vegetarische Rohkost schlank, jugendlich und gesund bleiben.
Ob dies tatsächlich so ist, konnte bisher wissenschaftlich nicht bewiesen werden. Die «Giessener Rohkoststudie» der Universität Gießen zeigte jedenfalls im Jahr 1998 auf, dass Rohköstler kaum je übergewichtig sind. Das ist positiv – die Kehrseite der Medaille sieht anders aus.
Mehr als die Hälfte der untersuchten Männer und Frauen hatte Untergewicht, bei einem Drittel der Frauen blieb als Folge davon gar die Menstruation aus. Viele waren ungenügend mit Proteinen, Eisen, Kalzium, Zink, Iod, Vitamin D und Vitamin B12 versorgt. Ernährungswissenschaftler rieten daraufhin von der Rohkosternährung ab.
Diese Einstellung hat sich mittlerweile ein bisschen geändert, sicher auch aufgrund einer niederländischen Studie von 2011. Sie kam zu folgendem Ergebnis:
Wer viel rohes Obst und Gemüse isst, senkt sein Risiko für einen Schlaganfall um etwa 30 Prozent.
Dies sei, so vermuten die Forscher, auf den hohen Gehalt an Ballaststoffen, Vitamin C, Kalium, Flavonoiden und anderen sekundären Pflanzenstoffen in unerhitztem Gemüse und Obst zurückzuführen. Beim Erhitzen werden diese Substanzen teilweise abgebaut oder gelangen ins Kochwasser.
Häufiger roh essen ist also doch gesund. Sich ganz der veganen Rohkost zu verschreiben, kann je nach Lebenssituation dennoch heikel sein. Zumindest setzt diese Art der Ernährung besonders viel Wissen und Erfahrung voraus, um Mangelerscheinungen vorzubeugen. Schwierig wird eine gute Nährstoffversorgung am ehesten dann, wenn jemand sämtliche tierischen Produkte vom Menüplan streicht. Oder die rohen Zutaten nicht frisch genug einkauft, kühl lagert und hygienisch zubereitet.
Übrigens sind Bohnen, Kartoffeln oder manche Pilze giftig, wenn sie nicht gekocht werden.
Und gewisse bioaktive Substanzen wie das Lykopen aus Tomaten können gekocht sogar besser aufgenommen werden. In diesem Sinn plädiere ich für Abwechslung: mal roh, mal gekocht. Apropos Pizza und Pommes: Ich gehe nicht ins Restaurant, um genau dann besonders gesund zu essen.
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