Idylle pur: Ligerz mit seiner Kirche, die Reben und natürlich der Bielersee mit der St. Petersinsel.
Ja, es stimmt: Einen sonderlich guten Ruf hatte Biel eigentlich selten. Von Kriminalität und hoher Sozialhilfequote ist dann in den Medien meist die Rede, obwohl solche Aspekte bei anderen Städten in vergleichbarer Situation eigentlich kaum Erwähnung finden. Aber warum? Denn Biel hat eigentlich alles, was nötig ist, um zur touristischen Top-Destination zu werden: Attraktiv gelegen zwischen Jura und Bielersee, das Tor zu einem der spannendsten Weinanbaugebiete der Schweiz, die grösste zweisprachige Stadt des Landes, deren faszinierender Bilinguismus mit einer aufstrebenden Kunst- und Kulturszene einhergeht; ein mit dem Wakkerpreis prämiertes Ortsbild, das von einer charmanten mittelalterlichen Altstadt bis hin zum Zentralplatz und dem Unteren Quai mit einer geradezu französischen Ausstrahlung wirklich alles zu bieten hat. Die Uhrenstadt (Marken wie Rolex, Omega und Swatch sind immer noch ansässig) gibt sich betont entspannt, tolerant und weltoffen. Oder wie es die Bieler Autorin Vera Urweider in der Präambel zur Stadtordnung passend beschreibt: «Eine Stadt, die nicht Hauptstadt sein muss und deshalb Narrenfreiheit geniesst. Um kreativ, mutig, lebendig zu sein, um auszuprobieren, sich auszutoben, scheitern zu dürfen. (…) Biel muss nicht. Biel darf, kann und soll.» Biel wagt. Und Biel gewinnt. Ganz sicher lässt sich das für die Gastronomie dieser Stadt sagen. Bis vor ein paar Jahren noch kulinarisches Ödland – von ein paar guten Fischrestaurants am See einmal abgesehen – mit viel zu vielen Pizzerien und Take-Aways hat sich die Seelandmetropole in ein wirklich heisses Pflaster verwandelt, wo man die Aufbruchstimmung richtiggehend spüren kann. Junge, innovative Köchinnen und Köche mit Ideen, die einfach machen, ohne sich unnötige Fragen zu stellen, ob das auch angenommen würde. Und siehe da: Der Erfolg gibt ihnen recht! Endlich geht etwas in Biel. Und zwar in die richtige Richtung. Wir haben der Stadt auf den kulinarischen Puls gefühlt und wussten es gleich: Wir kommen bestimmt wieder …
In Biel gibt es viel zu sehen und zu erleben. Für diejenigen, die nur kurz in der Gegend sind, haben wir ein paar besondere Höhepunkte herausgepickt:
1 AUF DEM REBENWEG
Von Biel via Twann und Ligerz bis nach La Neuveville dem See entlang durch die Rebhänge: einer der attraktivsten Wanderwege der Schweiz!
2 ESSEN ÜBER DEN DÄCHERN
Rooftop-Gastronomie ist in einer Stadt wie Biel noch eine wirkliche Ausnahme. Ein Essen im «Repas» bietet daher einen wirklich seltenen und nicht weniger spektakulären Blick auf die Dächer der Stadt.
3 DIE ALTSTADT
Ein kleines Juwel: Die Bieler Altstadt ist authentisch und hat ihren einzigartigen Charme behalten. Galerien, Antiquitätenläden und kleine Läden wechseln sich ab mit Restaurants, Theatern und Cafés
Von Genf, Zürich und Basel aus ist Biel mühelos mit dem Hochgeschwindigkeitszug ICN zu erreichen, der auf Strecken entlang der Seen (Haltestellen in Yverdon-les-Bains, Neuchâtel und Biel) und in Richtung Jura verkehrt. Die Stadt ist an die Autobahnen A1 (St-Gallen-Genève), A5 (Solothurn-Yverdon) und A16 (Transjurane, Delle-Biel) angebunden.
ART DÉCO HOTEL ELITE
In einem klassisch eleganten Gebäude aus den 1930er-Jahren im Zentrum von Biel befindet sich eine der besten Adressen der Stadt: das im Jahr 2015 renovierte Art Déco Hotel Elite – in perfekter Lage und mit hervorragender Gastronomie; das Rooftop-Restaurant «Repas» gehört ebenfalls zum «Elite».
www.elite-biel.com
Regionalität ist Trumpf: Diese kulinarische Bewegung hat auch Biel erreicht – und ist enorm bereichernd!
Im Nachhinein sieht man es immer klarer: Gemessen an dem, was folgen sollte, war die Eröffnung des «Lokal» im Sommer 2018 direkt an der Schüss ein wahrer Paukenschlag. Denn es sollte sich als die Initialzündung erweisen, welche die Stadt in eine neue Phase des gastronomischen Aufschwungs katapultiert hat. Die Küche von Sandro Bianchin und Laura Stauffer war anders als das, was man im kulinarisch eher konservativ aufgestellten und nicht gerade als experimentierfreudig bekannten Biel bisher kannte: puristisch, lokal verankert, aber international, mit einer klaren, durchaus von der New Nordic Cuisine geprägten Handschrift. Und: Das «Lokal» setzte grossmehrheitlich auf Naturweine, also Weine, die aus nachhaltigem biologischem oder biodynamischem Anbau stammen und auf möglichst natürliche Weise mit nur minimalen Eingriffen vinifiziert werden. Und siehe da: Das Konzept war ein voller Erfolg – derart erfolgreich, dass das Duo Bianchin-Stauffer in den Folgejahren das «Sauvage» (Naturweinbar mit modernen Tapas) eröffnen und das «Ecluse» übernehmen konnte und damit durchaus stilbildend für die neue junge Bieler Gastroszene wirkt. Auch vier Jahre nach der Eröffnung sprüht die «Lokal»-Kulinarik immer noch von geradezu vibrierender Energie. Bereits die zum «Pét-Nat» von Anne-Claire Schott gereichten Snacks haben es in sich: junge, knackige gelbe Kefen aus der Region mit einer pikanten Crunchy-Mayonnaise; ein Chip aus getrockneter Erdbeerhaut mit fermentierter Erdbeere und Kräuterpesto sowie weisser Spargelschaum mit gepickelter Rande. Auf ein fantastisches Sauerteigbrot mit einer süchtig machenden Beurre noisette folgt ein Gang aus laktofermentierten weissen Spargeln auf einer Creme aus Blauschimmelkäse, dazu Sellerieöl, Brotchips und Sanddorn – und da stimmt wirklich alles: kein Element zu viel, klare, pure Aromen, die eine perfekte Balance von Säure, Salzigkeit und Umami bilden. Mehr davon! Doch es kommt noch besser, nämlich in Form eines «Meerbodens», gebildet aus dehydrierten Peperoni, Peperonischaum und Bisque, darauf thront eine aus Algen-Brikteig nachgebildete Stabmuschel, die mit einem Forellentatar gefüllt ist. Klingt wild, aufregend und so schmeckt es auch! Salzig, jodig, fischig, fleischig, cremig, knusprig und herzhaft – alles auf einmal. Da stört es kaum, dass der – ebenfalls hervorragende – Hauptgang, eine Alpstein-Ente mit Geflügelherzravioli und Zucchettipüree nicht ganz mithalten kann.
Ein etwas anderes Konzept hat das «Ecluse», traumhaft gelegen in einer ehemaligen Kompassfabrik, direkt am Elfenaupark und mit einer idyllischen, von Platanen geschützten Terrasse, frei laufende Hühner und Pfauen inklusive. War das Restaurant während gut 20 Jahren eine solide Grösse in der Bieler Szene, hatten Sandro Bianchin und Laura Stauffer im letzten Jahr die Chance, den Betrieb zu übernehmen. Mit dem neuen Konzept dreht sich nun alles um Nachhaltigkeit und Regionalität, gekocht wird streng nach saisonalem Angebot und so gut wie alles wird selbst gemacht, sei es mithilfe von Hochbeeten im Garten sowie Feuerringen und Big Green Eggs als Aussenküche. Während Sandro an diesem Abend am Herd steht, erklärt Laura das Konzept. Und das ist eigentlich simpel: Jede Zutat, die im Ecluse zum Einsatz kommt, stammt aus einem 50-Kilometer-Radius; keine exotischen Gewürze, keine Zitrusfrüchte, denn wer braucht die schon, wenn man auch mit Verjus für die Säure sorgen kann? «Nur beim Kaffee machen wir eine Ausnahme», so Stauffer. Gemäss dem Motto «Von der Erde auf den Teller und zurück zur Erde – Alles ist verbunden», funktioniert alles nach dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft: Die Produzenten aus der Region pflanzen nur an, was die Küche bestellt, sodass nicht zu viel produziert wird – und am Ende steht die Aufbereitung durch ein eigenes Kompostsystem. Der erste Gang aus Sandros Küche gerät gleich zu einem beeindruckenden Statement für die Regionalität: Verschiedene Seeländer Tomaten, ganz simpel aufgeschnitten, dazu Tomatenschaum, Tomatenpulver, Kirschen-Cassissorbet, Basilikum, angegossen mit fermentiertem Kirschsaft. Jede Komponente dient einzig dem Ziel, den Eigengeschmack der Tomaten in Szene zu setzen… und dieser ist phänomenal! Süsslich, säuerlich, salzig, fruchtig, blumig, kraftvoll, fast fleischig – und wir müssen neidlos anerkennen: Die Tomaten, die wir eine gute Woche zuvor in der Provence gegessen hatten, waren nicht ansatzweise von einer solchen aromatischen Wucht. Wie es sich gehört, kauft man im Ecluse immer gleich eine ganze Kuh, um sie Nose-to-Tail zu verwerten, weshalb wir in den Genuss einer saftigen Rindfleischpraline mit Schmorgemüse, Buchweizen und Schalotten kommen. Der caramelisierte Schweinebauch im Hauptgang ist zwar wunderbar zart, aber leider wenig knusprig; doch in Kombination mit Sommergemüse, Aprikosen, Malz-Serviettenknödel und Bier-Jus immer noch ein mehr als gelungener Teller. Wiederum herausragend ist die Begleitung durch lokale Naturweine, so haben etwa Anne-Claire Schott mit ihrer Orange-Wine-Cuvée «Tutti Frutti» und Christian Dexl (Keller am See) mit einer ungeschwefelten Variante seines Pinot-noirs gar limitierte Abfüllungen exklusiv für Bianchin und Stauffer beigesteuert. Die «Lokal»-Familie wächst übrigens munter weiter. Noch in diesen Tagen soll unter dem Namen «Unfiltered» der erste Naturwein-Webshop für Biel (aber auch den Rest der Schweiz) online gehen.
Das «Lokal»: Hier nahm alles seinen Anfang.
Forellentatar auf essbarem Meeresboden im «Lokal».
LOKAL
Kreative Küche nach New-Nordic-Vorbild; am besten einfach das Überraschungsmenü wählen.
www.lokal-biel.ch
SAUVAGE
Weinbar mit grossartiger Auswahl an Naturweinen und modern interpretierten Tapas.
www.sauvage-biel.ch
ECLUSE
Nachhaltige und strikt regionale Gerichte vor unvergleichlich idyllischer Kulisse.
www.ecluse-biel.ch
Fermentierte Spargeln mit Blauschimmelkäse und Sanddorn im «Lokal».
Sandro Bianchin beim Anrichten einer fulminanten Tomatenvariation im «Ecluse»
So lässig wie anspruchsvoll: «Repas» und «Aux Trois Amis»
Die Anfänge von Biels kulinarischem Aufschwung liegen ausserhalb der Stadt, im kleinen Örtchen Schernelz, traumhaft gelegen in den Rebhängen oberhalb des Bielersees: Es war im Jahr 2016, als Marc Joshua Engel seinen kulinarischen Horizont in Asien, Australien und Neuseeland erweitert hatte und nun für eine neue Herausforderung bereit war. Als sich ihm die Chance bot, zusammen mit seiner Partnerin und Sommelière Cynthia Lauper das Traditionslokal «Aux Trois Amis» – bis dahin ein solides Lokal, bekannt für Fisch und Treberwurst – zu übernehmen, konnte er nicht Nein sagen. Gott sei Dank möchte man sagen, denn neben der grandiosen Aussicht auf den tiefblauen Bielersee, das Rebenmeer, die St. Petersinsel und mit ein wenig Glück auch auf Eiger, Mönch und Jungfrau, bietet das Restaurant seither eine erfrischend andere Mischung aus saisonaler, ambitionierter, doch betont locker gehaltener Küche. Kein Dresscode, keine weissen Tischtücher, jeder ist willkommen. Regionale Zutaten spielen zwar eine Rolle, aber nicht dogmatisch; Engel kocht einfach, was ihm Spass macht – und man sollte ihn einfach machen lassen: idealerweise im «Menü surprise» (vier bis sechs Gänge), das gleich beim Gruss aus der Küche (Mousse aus geräucherten Felchen mit piemontesischen Haselnüssen und Petersilienöl) die Messlatte ziemlich hoch ansetzt. Nach einem guten Gemüsegang (Variation von der gelben Rande mit Aprikosen, Labneh und Sonnenblumenkernen) folgt dann ein wahres Crescendo: Loupt de Mer mit Pfirsich und Chorizo (fruchtig-pikant, aber dennoch subtil; eine tolle Kombination!), dann etwas so Simples wie Siedfleisch, das jedoch auf Rüebli in verschiedenen Texturen (Süsse), gepickelte Senfkörner (Säure) und Meerrettich (Schärfe) trifft und sich als perfekt austariertes Arrangement erweist. Auf viel Umami (Teigtasche mit Shiitakepilzen, Spinat und Dashi) folgt ein Hauptgang, der einfach nur Spass macht: Ein prächtiges Stück vom Sommer-Rehbock im Speckmantel, dazu eine Sellerievariation, Seeländer Kirschen und Cashewnüsse. Man könnte jetzt bemängeln, dass es zu diesem Menü keine Weinbegleitung gibt, doch da sich das «Aux Trois Amis» im Besitz des Winzerpaars Sabine Steiner und Andreas Krebs befindet, empfiehlt Cynthia Lauper zu jedem Gang das passende Glas (alles im Offenausschank) quasi «von nebenan».
Die Dachterrasse des «Repas» bietet den wohl schönsten Blick auf die Stadt.
Die Gerichte im «Repas» sind ausdrücklich zum Teilen gedacht.
Bei allem, was das Duo Engel/Lauper für die gastronomische Szene um den Bielersee bisher geleistet hat, kam es doch nie infrage, sich einfach auf den eigenen Lorbeeren auszuruhen. Entsprechend gross waren die Erwartungen, als bekannt wurde, dass die beiden das Rooftop-Restaurant des Bieler Hotels «Elite» als Pächter übernehmen werden. Seit Anfang dieses Jahres hat das «Repas» seine Tore geöffnet und es ist eine wahre Bereicherung für die Stadt. Das Zauberwort heisst Bistronomie, eine Mischung aus Bistro und Gastronomie, wo die lässige Bistrokultur der Pariser Szene auf französisch angehauchtes Fine Dining trifft, wie immer betont leger. Und mit dem vielleicht spektakulärsten Blick, den man auf die Dächer von Biel haben kann. Weniger ist mehr? Nicht im «Repas». Das Konzept untersteht nämlich keinerlei Regeln, man bestellt einfach, worauf man Lust hat und teilt alles wie bei einer Tavolata mit dem ganzen Tisch. Daher kann es nicht schaden, mindestens zu viert dort zu essen, denn die Auswahl ist wirklich erstklassig. Die kulinarische Handschrift von Koch Corentin Rérat wirkt denn auch gleich angenehm vertraut, war er doch langjähriger Souschef im «Aux Trois Amis». Besonders die Amuse-Bouches, passend begleitet von einem Chasselas «Naturtrüeb» von Arielle und Beni Andrey, überzeugen durch enorme Präzision: Chorizo-Churros, die man in eine Scampimayonnaise mit Crevettenpulver dipt; Haselnuss-Gougeres mit Roquefort und Birne (wuchtig, aber gut); knusprige «Zigarren», gefüllt mit Rauchforelle und Forellenkaviar (jetzt schon ein Signature Dish). Ziemlich mediterran sind die Jahrgangssardinen mit Zitrone und frittierten Kapern sowie der Pata-Negra-Schinken mit Melone und Miso-Butter. Heimlicher Star dieser Runde ist dann jedoch die Kaviar-Tartelette mit knackigem Kohlrabi und Sauerrahm, eine Wucht! Die Vorspeisen-Runde – perfekt in Verbindung mit dem Œil de Perdrix der Hauswinzer Krebs & Steiner – überzeugt mit einem Lachsmosaik mit Sauerrahm, Aprikose und Dill, gefällt mit einem Rindstatar mit Sardelle, Senf, Petersilie und geriebenem Eigelb… und brilliert mit einer Foie gras au torchon, grandios sekundiert von Kakao, Kirschen, Macadamianüssen und Hering. Der Oktopus bildet mit Kichererbsen, Koriander, Chipotle und Limetten zwar ein stimmiges Ensemble, ist aber leider etwas gar weich geraten, sodass man einen gewissen Crunch vermisst. Und hier kommen wir zum einzigen «Problem» des Repas: Im Vergleich zum Feuerwerk, das bei den Amuses und Vorspeisen gezündet wird, wirken die Hauptgänge fast etwas uninspiriert. Ein Problem, das bei den Desserts dann schnell wieder in Vergessenheit gerät. Immer auf der Karte ist das Baba Repas, ein Traum mit Orangen, Vanillerahm und selbst angesetztem Rum-Gewürzsirup, mit dem man diese Köstlichkeit gleich am Tisch selber tränken kann …
Dessert im «Aux Trois Amis»: Himbeere, Buchweizen, Quark und Dill.
AUX TROIS AMIS
Kreativ, saisonal und an traumhafter Lage.
www.aux3amis.ch
REPAS
Teilen macht Freude: Es ist ein wahres Vergnügen, sich durch alle diese grossartigen kleinen Gerichte durchzuprobieren!
www.repas-biel.ch
Es gibt Restaurants, die eine Stadt wie Biel sofort zum kulinarischen Hotspot machen können. Bestes Beispiel ist das «Du Bourg» in der Bieler Altstadt, von dem man wohl noch sehr viel hören wird.
Diese Nachricht schlug ein wie eine Bombe: Als bekannt wurde, dass Fiona Liengme und Christian Aeby das Altstadt-Urgestein «Du Bourg» übernehmen würden, durfte man sich sicher sein, dass Biel bald um ein Restaurant bereichert würde, das über die Grenzen der Stadt hinaus für Furore sorgen wird. Liengme und Aeby, beide Köche, sie zudem noch Sommelière, waren lange in der legendären «Eisblume» in Worb tätig, wo sie massgeblich zum einzigartigen Stil dieses Fine-Dining-Juwels beitrugen. 2020 erfuhr das Paar per Zufall, dass die Besitzer des Du Bourg gerade neue Pächter suchten für dieses spätmittelalterliche Wohnhaus aus dem Jahr 1500, in bester Lage am historischen Burgplatz und zudem gerade erst aufwendig renoviert. Und weil die beiden schon seit längerer Zeit mit einem eigenen Restaurant liebäugelten, konnten sie einfach nicht widerstehen. Fine-Dining in der Bieler Altstadt? Bis vor ein paar Jahren wäre das wohl noch undenkbar gewesen, doch der Umstand, dass diesem Quartier nichts Besseres hätte passieren können, ist nur die logische Folge einer Entwicklung, die mit dem ersten «First Friday» im Mai 2016 ihren Anfang nahm. Die Idee: An jedem ersten Freitag des Monats präsentiert sich die Altstadt von ihrer besten Seite. Kunst, Kultur und Kulinarik, Bummeln in den wunderschönen und historischen Gassen und Gebäuden, die kleinen, aber feinen Boutiquen, Shops und Läden haben bis 22 Uhr offen, Theater, Galerien, Restaurants, Bars, Klubs und Konzerte sorgen für Unterhaltung. Seither ist die Altstadt wie neugeboren, sie floriert, brilliert und es pulsiert das Leben. Seit über einem Jahr – nachdem die Eröffnung pandemiebedingt verzögert wurde – gehört nun auch das neue Du Bourg dazu.
Das «Du Bourg» befindet sich in einem Gebäude aus dem Jahr 1500.
Herausragende Gemüsegerichte: Gurkenvariation im «Du Bourg».
Und wie kocht Christian Aeby dort? Extrem finessenreich und komplex, aber nicht verkopft; mit Fokus auf starke Aromen und beste Schweizer Produkte, doch im Zentrum steht ganz klar das Gemüse, das durch Fisch und Fleisch von hiesigen Weiden und Gewässern ergänzt wird. Serviert wird nur ein Menü (5–7 Gänge), denn das Lokal ist klein (25 Plätze) und die Küche geradezu winzig. Um so beeindruckender ist es also, was Aeby und Liengme zusammen mit Michael Rossi und Sarina Siegrist Abend für Abend auf die Beine stellen. Die erste Überraschung gibt es gleich beim ersten Amuse, welches zum Aperitif draussen mit Blick auf den Burgplatz gereicht wird, nämlich ein Moitié-moitié! Ganz recht, ein Fondue, aber was für eines: schaumig, locker, leicht und samtig, serviert mit salzigen Bretzeli (nach einem Originalrezept von Christians Grossmutter), die man in das Schüsselchen mit dieser umwerfend wolkigen Käsegötterspeise tunkt. Weiter geht es drinnen am Tisch, wie zu erwarten, ist das Du Bourg ausgebucht. Als zweites Amuse reicht Fiona Liengme ein kleines Stück Zander, sehr behutsam gegart, bewusst nur lauwarm, dafür unendlich zart. Das Ganze ist angerichtet auf den eingemachten letzten weissen Spargeln der Saison, dazu Holunderblüten und eine mit Kräuteröl verfeinerte Beurre blanc. Ein beeindruckender Auftakt, doch jetzt geht es erst richtig los. Beim ersten Gang dreht sich alles um die Gurke: ein langweiliges, wässriges Gemüse? Na dann aufgepasst! Hauptkomponente ist ein Salatgurkensorbet, darunter dreimal grillierte Nostranogurken: zuerst in Nature grilliert, damit sie Wasser verlieren, dann mit Miso bestrichen und nochmals grilliert, ehe man sie mit Öl bepinselt, um den Grillgeschmack beim dritten Durchgang zu intensivieren. Nach zwei Stunden im Dörrgerät bleibt der Biss noch erhalten. Dazu in Shoyu eingelegte Gurken und selber eingelegte Cornichons. Finalisiert wird das Gericht mit einer Komposition aus Crème fraîche, Gurkensauce und Dillöl, gewürzt mit fermentiertem schwarzem Knoblauch für mehr Geschmackstiefe. Das Spektrum an Aromen und Texturen, schlicht die geschmacklichen Dimensionen, in welche Aeby etwas so Simples wie eine Gurke katapultieren kann, ist zutiefst beeindruckend.
Die Bieler Altstadt erlebte in den letzten Jahren eine wahre Renaissance.
Ein Vorzeigegericht von Christian Aeby: Lachs mit Rüebli und Sanddorn.
Was ausserdem herausragt, ist der geradezu meisterhafte Einsatz des Elements Säure, welches der Küchenchef in diesem Menü wirklich fulminant beherrscht; sei es durch die Verwendung von Verjus, fermentierten Zutaten oder wie beim nächsten Gang Sanddorn: Schweizer Lachs, kurz gebeizt, damit er mehr Textur bekommt, dann indirekt mit glühender Kohle abgeflämmt, begleitet von einem rehydrierten Rüebli (zuerst gekocht, dann sechs Stunden getrocknet und in Rüebli-Koji-Jus eingelegt), dazu gebratene und eingelegte Rüebli, Rüeblipüree sowie eine Sauce aus stark einreduziertem Rüeblisaft, Sanddorn und Schnittlauchöl. Getoppt wird das Ganze mit Forellenkaviar. Salzig, vollmundig, buttrig, cremig, knackig, jodig, süsslich – ein wahres Feuerwerk an Aromen und Texturen, getragen von einer subtilen Säure, die alles in perfekter Balance hält.
Geradezu Unerhörtes passiert beim Hauptgang, Entrecôte vom Schweizer Black-Angus: Die «Beilage» Broccoli, als Püree, in Butter gegarte und geröstete Broccoli-Rose, gebratener Storzen und als Nocke aus Broccoliblüten und gerösteten Rapssamen … all dies stiehlt dem Fleisch komplett die Show. Besonders in gerösteter Form entlockt Christian Aeby dem Gemüse eine Rauchigkeit und Fleischigkeit, mit der das Rind schlicht nicht mithalten kann. Wahnsinn! Auf einen kongenialen Käsegang – Blauschimmelkäseglace (frisch und cremig) auf Frischkäseschaum und Granola, darunter Zwiebelkompott und die eingelegten Wurzeln der Kapuzinerkresse – folgt ein Dessert rund um die Himbeere: knusprige Himbeertuiles, angerichtet auf einem Himbeersorbet, Joghurtmousse, dazu frische Himbeeren, Himbeercoulis, alles bestäubt mit einem Pulver aus fermentierter Rande. Welch ein Menü … das man übrigens mit einem alkoholfreien Getränkepairing kombinieren kann, das einzigartig ist: Wie bereits in der «Eisblume» entwickelt Fiona Liengme alles von Grund auf selber, Frucht- und Gemüsesäfte, speziell angesetzte Tees und Limonaden, Fermentiertes wie Kombucha, Kefir oder essiggesäuerte Sirups. Jede Kreation, jede Kombination extra auf den entsprechenden Gang abgestimmt, von Holunder-Wacholder und Sanddorn-Buttermilch bis hin zu Pilz-Essig, Cold-Brew-Assam-Schwarztee mit Dörrpflaume oder Heidelbeere-Süssholz. Machen wir es kurz: Wenn Aeby und Liengme auf diesem Niveau fortfahren, geschieht vielleicht eines Tages das bisher Undenkbare … und der erste Michelin-Stern leuchtet über Biel.
DU BOURG
Finessenreich, komplex, schlicht ein kulinarisches Highlight in Biel.
www.du-bourg.ch
Wer Biel mit ein paar kulinarischen Souvenirs verlassen möchte, hält sich am besten an diese ausgesuchten Adressen:
BATAVIA ÉPICERIE MODERNE
«Modern, lokal und biologisch» lautet das Motto dieses kleinen, feinen Lebensmittelladens, der 2016 im Herzen der Bieler Altstadt eröffnet wurde. Neben Sandwiches, Salaten und Suppen zum Mitnehmen oder gleich Essen wartet eine tolle Auswahl an Produkten aus der Region und aus der ganzen Schweiz, viel Slow Food sowie Naturweine.
www.batavia.ch
KAFOJ
Diese Kaffeerösterei verarbeitet Kleinmengen an hochwertigen Kaffeebohnen zu vielschichtigen Produkten. Die Bohnen stammen aus nachhaltig und fair produzierenden Bauernbetrieben und können bis auf die exakte Parzelle zurückverfolgt werden.
www.kafoj.ch
BIER BIENNE
Mit mehr als 500 Bier- und über 100 Spirituosensorten im Angebot ein wahres Paradies für Conaisseurs. Gebraut werden zudem drei eigene Biere, welche man gleich in der dazugehörenden Bierbar Pooc verkosten kann.
www.bierbienne.ch
SOCKEYE
Delikatessengeschäft mit Wildlachsspezialitäten; während der Trüffelsaison gibt es auch Burgundertrüffel aus der Region und Périgordtrüffel aus Südfrankreich zu kaufen, die Ueli Engel mit seinen ausgebildeten Hunden sucht.
www.sockeye-wildlachsimport.ch / www.trueffeln.ch
CASA CUCINA
Für Gourmets und Designliebhaber: Die erste Adresse für praktische und schöne Küchen-Utensilien, -Werkzeuge und -Geräte. Erlesenes Sortiment rund um die Themen Kaffee und Grillieren plus eine tolle Auswahl an Wein und Spirituosen.
www.casacucina.ch
Unser Reiseredaktor Nicolas Bollinger interessiert sich stets für die kleinen feinen kulturellen Unterschiede, die einem beim Reisen auffallen. Heute: grosse und kleine Veränderungen.
Zu Biel und seiner Gastronomie hatte ich stets ein besonderes Verhältnis: Als ich vor fast zehn Jahren beim Bieler Tagblatt journalistisch tätig wurde, war es nicht nur in kulinarischer Hinsicht eine ganz andere Stadt: Besonders der «Gault & Millau» bemäkelte mit alljährlicher Regelmässigkeit die Abwesenheit wirklich herausstechender Restaurants – ein Eindruck, den ich als Restaurantkritiker für die Zeitung leider bestätigen musste. Ausser ein paar guten Fischlokalen am See waren nur viel zu viele Pizzerien und kaum ein Highlight in Sicht. Nur ein paar Jahre später ist Biel in dieser Hinsicht kaum wiederzuerkennen; die Stadt strotzt geradezu vor Energie und neuen Ideen und ist aus dem kulinarischen Dornröschenschlaf erwacht! Die gastronomische Szene ist jung, innovativ und weiss die Vorzüge der eigenen Region perfekt für sich zu nutzen. Natürlich könnte man das auch als «Gastro-Gentrifizierung» oder «Hipsterisierung» abtun und sich fragen, ob Biel hier nur «einen auf Berlin machen» will. Aber ich denke, diese Art von Kritik greift zu kurz: In dieser Stadt ist man eigentlich schon immer seinen ganz eigenen Weg gegangen, vielleicht gerade deshalb, weil man seit jeher immer etwas unterschätzt wird. Als neuer kulinarischer Hotspot hat Biel nun definitiv ein grosses Ausrufezeichen gesetzt, sodass ab jetzt auch für Gourmets gilt: «Ici c'est Bienne!»
Ein Schnappschuss
Apéro vor dem «Du Bourg»: Vielleicht steht es gerade sinnbildlich für den enormen kulinarischen Aufschwung von Biel. Vor gut zehn Jahren wäre ein solches Restaurant bzw. diese Art von moderner Gastronomie in der Stadt kaum denkbar gewesen. Aber der Erfolg spricht für sich.