Alles begann mit einer Niederlage: Als Niels Rodin eines Tages am Ende des Winters feststellen musste, dass das Zitronenbäumchen, welches er eigentlich nur zu Dekorationszwecken gekauft hatte, tot war, empfand er das als herben Rückschlag. Denn Rodin, damals Direktor einer Westschweizer Privatbank, zeichnet sich nicht nur durch seinen Ehrgeiz, sondern auch durch seine enorme Begeisterungsfähigkeit aus. Und da sich Rodin gerade in einer Midlifecrisis befand, erschienen ihm diese Zitrusfrüchte wie ein Retter in der Not. Wie ein Besessener stürzte er sich auf jede Art von verfügbarer Information zu diesem Thema, aus einem Hobby für die Wochenenden wurde eine wahre Passion, Rodin begann zu züchten, zu experimentieren, lernte eine Sorte nach der anderen kennen, mietete sich Gewächshäuser und wagte vor gut sechs Jahren das Ungeheuerliche: Er liess seine Existenz als Banker hinter sich und kaufte in Borex VD nahe Nyon eine Gärtnerei.
«Besonders am Anfang war es wirklich schwierig», sagt Rodin, denn die Böden waren durch Spritzmittelrückstände kaum für den Zitrusanbau zu gebrauchen. Innerhalb von vier Jahren gelang es ihm jedoch durch das Anpflanzen von Linsen, Daikonrettich und CBDHanf, den Boden auf natürliche Art und Weise zu revitalisieren. 3600 Quadratmeter, verteilt auf fünf Gewächshäuser, einen Folientunnel und einen Aussenbereich, umfasst die «ferme aux agrumes» – und wer sie zusammen mit Niels Rodin durchschreitet, wird von Eindrücken geradezu erschlagen. Kein Wunder, denn bei mittlerweile 200 verschiedenen Zitrusarten sowie 200 weiteren Arten von Exoten ist das ganz natürlich. Was auch sofort auffällt: In den Gewächshäusern ist es nicht besonders heiss, denn Rodin versucht, möglichst energieeffizient zu arbeiten, mittlerweile wird die Energie dafür durch thermische Panels und eine Photovoltaikanlage erzeugt. Wirklich bemerkenswert ist jedoch der Umstand, dass hier versucht wird, die Pflanzen so zu züchten, dass sie sogar winterliche Temperaturen überstehen. Wenn Rodin eine neue Sorte einführt, muss die Pflanze zuerst für ein Jahr in Quarantäne, da es für das hiesige Ökosystem verheerend sein könnte, wenn eine von Krankheiten befallene Blüte mit der lokalen Insektenpopulation in Kontakt kommen würde. Danach wird das Gewächs auf einen Wurzelstock der dreiblättrigen Orange (Poncirus Trifoliata) aufgepfropft, um es winterhart zu machen. Und es funktioniert tatsächlich. Niels führt uns zu einem Strauch, an dem die Orangen draussen prächtig in der schwindenden Novembersonne gedeihen: «Das ist eine russische Orange», erklärt er, «in den 1950ern gezüchtet, herrlich süss und hält bis zu minus zwölf Grad aus.» Ebenfalls kaum Probleme mit dem Schweizer Klima hat die Yuzu, denn die Bedingungen, unter denen diese Zitrusfrucht in ihrer japanischen Herkunftsregion gedeiht, entsprechen so ziemlich denen um den Genfersee. Die Yuzu mit ihrem einzigartig komplexen Aroma – intensiv, säuerlich-frisch, aber dennoch mit fruchtiger Süsse – hat es dem Zitrus-Visionär besonders angetan: «Ich bin ganz verrückt nach diesem unvergleichlichen Duft!». Das sind kulinarische Qualitäten, von denen auch zahlreiche Spitzenköche gerne profitieren; Franck Giovannini, Andreas Caminada oder Anne-Sophie Pic gehören zu Rodins Stammkundschaft – und sehen sich mit einer schier unglaublichen Auswahl konfrontiert: Rangpur, Kafirlimetten, Kalamansi, Limequats, Bergamotte, Satsuma-Mandarinen, Menton- und Amalfizitronen oder die spektakulär aussehende «Buddha's Hand», die überhaupt kein Fruchtfleisch enthält (Niels' Tipp: wie Trüffel dünn über ein Risotto hobeln!).
Bei einer so delikaten Angelegenheit wie Zitruszesten ist es für Rodin besonders wichtig, keinerlei Spritzmittel einzusetzen, «bio ist das Minimum, gearbeitet wird biodynamisch nach Demeter-Richtlinien». Geerntet wird auf der «ferme» von Ende September bis in den März, allerdings sind die Mengen eher klein und jede Pflanze trägt nur einmal im Jahr Früchte. Damit die ganze Produktion kein Verlustgeschäft ist, lässt er die Früchte seiner Anstrengung auch zu Wermut, Gin und Likören verarbeiten. Ein Cidre auf Basis von Äpfeln, Mandarinen und Waldbeeren soll bald dazukommen.